Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück und die Salzburger Bibelwissenschaftlerin Marlis Gielen sagten im Gespräch mit der Presseagentur "Kathpress", dass die französische Übersetzung mangelhaft sei. Ihr Tenor: Gott sei nach biblischem Zeugnis für Versuchungssituationen letztverantwortlich; dies dem Teufel zuzuweisen, würde in einen Gut-Böse-Dualismus führen, den das Christentum ablehne.
Gott für die Versuchung mitverantwortlich
Papst Franziskus hatte die französische Übersetzungsänderung mit der Begründung gelobt, dass nicht Gott als ein guter Vater den Menschen in Versuchung führe, sondern der Satan. Dazu Gielen wörtlich: "Ungeachtet der Tatsache, dass ich ein großer Fan von Papst Franziskus bin und den pastoralen Ansatz seiner Theologie sehr wertschätze (...), muss ich als Bibelwissenschaftlerin nüchtern feststellen: In den biblischen Schriften ist zweifellos und unmissverständlich bezeugt, dass Gott sehr wohl für Versuchungen verantwortlich zeichnet." Er prüfe einzelne Menschen wie etwa Abraham oder auch das Volk Israel als ganzes auf Glauben und Gehorsam gegenüber seinem Willen. Die jetzige Formulierung sei "nicht mangelhaft, sondern theologisch sachgerecht“.
Der Dogmatiker Tück sagte, Gott sei gut, daran sei nicht zu rütteln. Doch zugleich müsse ihm als dem Herrn der Geschichte auch die Letztverantwortung für das Böse in der Geschichte zugesprochen werden. Das sei der Stachel des sogenannten Theodizee-Problems: Warum gibt es das Böse, wenn Gott doch gut ist? Ohne einer moralisch-pädagogischen Entschärfung des Problems das Wort zu reden, könne man in manchen Situationen rückblickend sagen, dass Gott dem Bösen Spielraum lasse, um den Menschen durch Erprobungen hindurch zur persönlichen Reifung zu bringen.
Sachgerechte Interpretation
Dass manche Gläubigen mit der Bitte an Gott Probleme haben, "uns nicht in Versuchung zu führen", ist für Tück aus seelsorglicher Sicht verständlich. Daher gelte es, die Vaterunser-Bitte sachgerecht zu interpretieren, im Sinne von: "Überfordere uns nicht in Situationen der Anfechtung, sondern hilf uns, dass wir uns darin bewähren können." Zugleich sieht Tück "keinen Änderungsbedarf", zumal auch ökumenische Überlegungen zu bedenken seien: Christen beteten über Konfessionsgrenzen hinweg bereits über Jahrhunderte dieselben Worte.
Die Bibelwissenschaftlerin Gielen führte aus, nach Lage der Quellen sei der aramäische "O-Ton Jesu" nicht mehr zugänglich. Die entsprechenden griechischen Textstellen bei Lukas und Matthäus seien "korrekt wörtlich übersetzt". Bemerkenswert sei allerdings, dass die Bitte gerade nicht laute: "Und versuche uns nicht!", sondern: "Und führe uns nicht in Versuchung!" Diese Formulierung lege genau genommen zunächst nur nahe, so Gielen, "dass Gott den Menschen mit einer Versuchung konfrontiert". Sie lasse aber offen, ob die Versuchung von ihm selbst ausgeht oder eine andere Quelle hat.
Für "nicht vertretbar" hielte es Gielen auch, wenn das Vaterunser als liturgisches Gebet anders formuliert wäre als in der Lesung der entsprechenden Evangelienabschnitte aus der Einheitsübersetzung.