Theologin fordert Kirche zu mehr Risikofreudigkeit auf

"Eigene Verwundbarkeit öffnet Türen"

Existenzbedrohende Krisen können für die Würzburger Theologin Hildegund Keul nur durch das bewusste Eingehen eigener Verwundbarkeitsrisiken bewältigt werden. Keul bezieht sich etwa auf den Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie.

Frau mit Atemschutzmaske / © Cristian Gennari (KNA)
Frau mit Atemschutzmaske / © Cristian Gennari ( KNA )

"Die Vulnerabilitätsforschung beschreibt die zugrundeliegenden Zusammenhänge als Verschwendungsparadox. Wir nehmen Lebensrisiken auf uns, um Lebensgewinne zu erreichen", sagte Keul am Dienstag bei einer Tagung in der Katholischen Akademie Freiburg. Die Wissenschaftlerin leitet ein bundesweites Forschungsprojekt zu Vulnerabilität.

Keul nahm auch das Thema Waffenlieferungen für die Ukraine in den Blick. "Letztlich erhöht Deutschland dadurch seine eigene Verletzlichkeit, etwa das Risiko, in den Konflikt hineingezogen zu werden. Das übergeordnete Ziel ist, die Ukraine bei der Verteidigung von Freiheit und Demokratie zu unterstützen und so einen Gesamtgewinn an Leben zu erreichen." Im Krieg zwischen Russland und der Ukraine gehe es um einen Kampf sich widersprechender Gesellschafts- und Lebensentwürfe, so die Theologin. Dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. warf sie vor, den Angriff als Heiligen Krieg zu deuten und damit das "Rückgrat der russischen Kriegsbegründung zu liefern".

"Grundprinzip des Lebens überhaupt"

Theologisch beschrieb Keul das Verschwendungsparadox als Grundprinzip des Lebens überhaupt. "Wer auf der Straße gefragt wird, ob er oder sie bereit ist, für jemand anderen unerträgliche Schmerzen auf sich zu nehmen, dürfte kaum mit Ja antworten. Aber genau dieses Ja hat jede Frau gesagt, die ein Kind zur Welt bringt."

Christliche Überzeugung sei es, so Keul, die eigene Verletzlichkeit zum Wohl der anderen zu riskieren. "Gerade in den aktuellen Krisenzeiten von Pandemie, der Umwelt- und Klimakatastrophe wäre die katholische Kirche noch viel stärker gefragt, selbst ins Risiko zu gehen. Leider fährt sie zu oft auf Sicherheit und hat zuerst das eigene Wohl im Blick. So war es lange auch bei sexualisierter Gewalt und Vertuschung", kritisierte die Theologin.

Gute Beispiele in der Bibel

Dabei sei die Bibel voller Erzählungen, dass Aufbrüche erst durch das Öffnen von Türen und das Eingehen von Risiken gelingen. "Nach der Kreuzigung Jesu sind seine Jünger traumatisiert, rennen wie die Emmaus-Jünger davon oder schließen sich im Abendmahlsaal ein. Aber an Pfingsten wagen sie sich dann doch in Öffentlichkeit. Und genau dieses Eingehen von Risiken und die Inkaufnahme eigener Verwundungen führt zu einem neuen Anfang der Geschichte."

Quelle:
KNA