DOMRADIO.DE: Ist es möglich, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen?
Dr. Werner Höbsch (langjähriger Leiter des Referates "Dialog und Verkündung" im Erzbistum Köln und Experte für Fragen des interreligiösen Dialogs): Ja, das geht, indem man sich erst einmal in seinem Denken nicht einfangen lässt von einem weiteren Aufrüsten und Wettrüsten, sondern nach Schritten sucht, dies zu überwinden. Sicherheit ist immer auch die Sicherheit des anderen – das also mit hinein zu nehmen.
Es ist sehr schwer, in der heißen Phase eines Krieges die Gewalt zu durchbrechen. Das erleben wir gerade auch in der Ukraine. Und ich bin nicht derjenige, der jetzt den Ukrainern Empfehlungen gibt, was da genau zu tun ist. Aber was wir sehen, ist, dass es im Vorfeld Möglichkeiten gegeben hätte, die Interessen aller Seiten zu berücksichtigen. Die Frage, auf die ich auch ehrlicherweise keine Antwort habe, ist: Wie kann ein Aggressor gestoppt werden? Das ist eine Frage, und ich bin da zerrissen – wie viele Christinnen und Christen zerrissen sind, die sich einem Friedenshandeln, einem Pazifismus, verpflichtet sehen, aber in der jetzigen Situation auch die Grenzen erkennen.
DOMRADIO.DE: In der Bibel kommt mehrfach der Teufel vor. Da sagen viele, daran könne man nicht glauben. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine gibt es indes schon den einen oder anderen, der etwa in einem russischen Machthaber das Böse erkennt. Was sagen Sie dazu?
Höbsch: Also ich sage einmal, dass wir Personen nicht dämonisieren dürfen. Man ist schnell bei der Hand zu sagen "der Teufel Putin" oder der und der ist der Teufel. Was ich aber wahrnehme, ist – und da ist die Bibel aus meiner Sicht vollkommen realistisch, dass Menschen besetzt werden können von der Idee der Gewalt und des Bösen und dann selber gar nicht mehr Herr ihres eigenen Handelns sind. Also das, was die Bibel mit dämonischer Besessenheit beschreibt, ist ja eine Besessenheit von eigenen Ideen, der Gewalt, der Durchsetzung eigener Machtinteressen.
Und das sehe ich auch – ohne eine Person dämonisieren zu wollen oder gar ein ganzes Volk. Ich halte es für falsch, zu sagen, der Russe oder die Russen sind jetzt auf einmal dem Satan verfallen. Genauso falsch ist es, wie es etwa Patriarch Kyrill macht, den Westen als dämonisiert zu bezeichnen.
DOMRADIO.DE: Es scheint so, als würde es uns schwerer fallen, andere Meinungen zu akzeptieren. Wir sind schnell in der polarisierenden Position und offene und ehrliche Diskussionen werden immer schwieriger. Wie können wir lernen, trotz Differenzen friedlich und respektvoll miteinander umzugehen?
Höbsch: Das ist mehr eine Frage der Haltung als der Technik. Eine Haltung, die besagt, der andere könnte ja auch recht haben. Ich bedenke auf jeden Fall, was der andere sagt. Aus dieser Haltung heraus können Gespräche entstehen. Und das halte ich gerade jetzt in Deutschland nicht nur angesichts des Ukraine-Kriegs, sondern der Gefährdung von Demokratie für ganz wichtig, dass man gesprächs- und dialogbereit ist.
Wie lernt man das? Dialog lernt man im Dialog, indem man sich öffnet, zuhört und hinhört. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Und sich nicht vom Hass anstecken lässt. Darin sehe ich eine ganz große Gefahr: Dass Menschen sich vom Hass auf andere anstecken lassen und dann den Hass in sich selber konservieren und pflegen. Fatal finde ich im Augenblick, dass wir eine Mauer aufbauen zwischen denen, die gegen die Ukraine und damit pazifistisch gesonnen sind und denen, die für die Ukraine sind, die Waffenlieferungen fordern. Hier halte ich auch innergesellschaftlich einen Dialog und keine Verteufelung der jeweils anderen Position für ganz wichtig.
Ich sagte eben, ich bin selber zerrissen. Ich gehöre der Friedensbewegung und Pax Christi seit mehr als 40 Jahren an und trotzdem habe ich keine einfachen Antworten und bin innerlich zerrissen. Aber eines ist für mich ganz wichtig: Die Logik der Gewalt, die sich in einer Rüstung und immer stärkeren Aufrüstung niederschlägt, nicht einfach hinzunehmen, sondern sie zu durchbrechen. Das ist genau das, was auch Jesus – etwa in der Bergpredigt – gemacht hat.
Das Interview führte Martin Mölder.