Für die Theologin Katharina von Kellenbach hat die jüngste Studie zu Missbrauch und sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche ein weit verbreitetes, falsches theologisches Denken offengelegt - vor allem im Blick auf Vergebung und Rechtfertigung.
Ein "praktisch automatischer Zusammenhang von Schuld und Vergebung" habe dazu geführt, dass evangelische Pfarrer oder Diakone nach Missbrauchstaten von ihren Kollegen freigesprochen worden seien, schreibt von Kellenbach in einem am Freitag erschienenen Beitrag für die Zeitschrift "Publik-Forum".
"Schuld verschwindet nicht auf magische Weise"
Den Opfern habe man hingegen nicht selten geraten, ihren Tätern zu vergeben. "Mit Blick auf sexualisierte Gewalt in der Kirche führt diese Theologie in eine verheerende Komplizenschaft mit den Tätern." Schuld verschwinde aber nicht auf magische Weise, wie es eine traditionelle christliche Bildsprache leider nahelege, schreibt von Kellenbach, die in Maryland/USA Theologie lehrte.
Von Kellenbach fordert zu konkreten Strategien der Reue, des Bekennens und der Wiedergutmachung auf. Bei der Reue gehe es darum, dass die Gemeinschaft der Kirche die Schuldigen klar benenne: Dazu "gehören ein Schuldspruch vor Gericht, berufliche Sanktionen und der Entzug von Privilegien, aber auch öffentliche Entschuldigungen oder Gedenktage", argumentiert die Theologin. Zugleich müssten Kirche und Gesellschaft lernen, offen über Sexualität zu sprechen.
Entschädigungszahlungen
"Wir brauchen dringend offene Räume, in denen ehrliche Gespräche über Sexualität und Missbrauch, Manipulation und Begierde geführt werden können", führt Kellenbach aus. Es gehe auch darum, die Schwächeren in asymmetrischen Beziehungen zu schützen und ihnen zu glauben, wenn sie von Missbrauch berichteten.
Finanzielle Entschädigungszahlungen sollten die Opfer ermächtigen und zugleich bei den Tätern die gefühllose Gleichgültigkeit der Schuld in Mitgefühl mit dem Leiden der Opfer verwandeln.