DOMRADIO.DE: Sie waren beide beim Treffen im Februar in Rom gewesen, es gab Vorträge, Diskussionen und auch ein Treffen mit dem Papst. Frau Prof. Schögl-Flierl, Sie sind sogenanntes korrespondierendes Mitglied bei der Akademie. Man kennt das Wort Korrespondenz. Was ist die besondere Aufgabe eines korrespondierenden Mitglieds?
Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl (Professorin für Moraltheologie an der Universität Augsburg und Mitglied im Deutschen Ethikrat): Es war ganz unspektakulär eine Berufung per Email. Ich habe eine Nachricht im Postfach gefunden, dass ich korrespondierendes Mitglied bin. Die gleiche Frage habe ich mir dann auch gestellt: was heißt das? Ich habe gelernt, dass das eigentlich keinen großen Unterschied macht zum ordentlichen Mitglied, es ist wohl eine Art Vorstufe. Aber es geht schon darum, aus Deutschland oder für Deutschland zu berichten. Korrespondenz meint also im Sinne eines Berichtes oder sich in eine Diskussion einzubringen.
DOMRADIO.DE: Frau Dr. Kuhr, Sie haben sich lange mit dem Bereich der Bioethik beschäftigt, unter anderem bei der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn. Wie sind Sie Mitglied bei der Päpstlichen Akademie für das Leben geworden?
Dr. Ilkamarina Kuhr (Geschäftsführerin der Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste (IV) der Deutschen Bischofskonferenz, zuvor Referentin im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz u. a. für Bioethik): Die genauen Gründe weiß ich nicht. Man wird vorgeschlagen, ausgewählt, ernannt und aufgenommen. In meinem Fall könnte eine Rolle gespielt haben, dass ich mit der Akademie in Bezug auf die Palliativversorgung in früheren Jahren intensiv zusammengearbeitet habe. Da lernt man sich ein wenig kennen.
DOMRADIO.DE: In vergangenen Monaten ist die Päpstliche Akademie für das Leben durchaus in den kirchlichen Schlagzeilen gewesen, weil da sehr unterschiedliche Mitglieder berufen worden sind. Jetzt haben Sie die rund 70 Mitglieder etwas kennengelernt. Wie war Ihr Eindruck?
Kuhr: Mich haben vor allem das Engagement und die Offenheit der anderen Mitglieder sehr beeindruckt – und durchaus auch die Unterschiedlichkeit. Dass sich zum Beispiel die Beiträge des Mediziners, der Ethikerin und des Rechtswissenschaftlers so konstruktiv ergänzt haben. Wo der eine mit offenen Fragen endete, konnte die Kollegin aus einer anderen Wissenschaft anschließen. Man sucht das Verbindende in der Unterschiedlichkeit, grenzt sich weniger mit der eigenen Position von den anderen Mitgliedern ab. Man stellt das Gemeinsame in den Dienst des Menschen und dabei kann Vielfalt etwas sehr Erfrischendes sein.
Das ist auch der Grund, denke ich, warum Papst Franziskus so unterschiedliche Personen beruft. Er sucht den Dialog mit der säkularen Welt und den Wissenschaften, aber ohne die kirchlichen Überzeugungen beispielsweise des Lebensschutzes aufzugeben. Mir scheint, dass das von den Kritikern der Akademie oft übersehen wird.
DOMRADIO.DE: Frau Prof. Schlögl-Flierl, wie war Ihr Eindruck von den anderen Mitgliedern?
Schlögl-Flierl: Ich bin mit vielen Mediziner:innen aus der ganzen Welt ins Gespräch gekommen. Das waren für mich wirklich spannende Momente. Die Mitglieder kommen aus Botswana, aus der Ukraine, aus Texas, also aus vielen Teilen der Welt. Uns verbindet das gemeinsame Thema der Bioethik und man lernt die anderen Sichtweisen kennen.
Für mich ist es eine Art Weltkirche gewesen – im Kleinen auf dem Feld der Bioethik. Das fand ich wirklich sehr bereichernd. Denn manchmal ist die deutsche oder die westeuropäische Perspektive doch auch begrenzt. Wir haben offen diskutiert und sind offen angehört worden. Das fand ich ein ganz tolle Erfahrung. Da war ich im Vorfeld erstmal ein bisschen vorsichtig, wie das werden wird. Aber es gab eine große Offenheit.
DOMRADIO.DE: Wie sieht denn so ein Treffen typischerweise aus, oder platt gefragt: Was macht man den ganzen Tag, wenn man sich in Rom bei der Akademie für das Leben trifft?
Schlögl-Flierl: Natürlich haben wir sehr viel Inhaltliches diskutiert. Es waren vor allem die Themen aus den Ländern spannend, im Sinne von: Was wird denn in Deutschland diskutiert, was wird in afrikanischen Ländern gerade zur Bioethik diskutiert? Das passiert in sehr vielen Einzelgesprächen. Aber natürlich haben wir auch viele Vorträge zu verschiedenen Themen gehört wie Human Brain-Schnittstellen, KI- Forschung oder auch zur Klimaforschung.
Wir haben insgesamt sehr offen neue Themen diskutiert. Ich bin ja für den Bereich der Künstlichen Intelligenz ausgewiesen und das wird auch, denke ich, in Zukunft mein Beitrag in der Päpstlichen Akademie für das Leben sein, da ich mich in der Forschung damit beschäftige.
DOMRADIO.DE: Und eben ist es schon angeklungen, dass da eine große Offenheit herrscht. Und dennoch gibt es innerhalb der Katholischen Kirche ein klares Lehrgebäude. Es gibt klare Glaubenssätze. Wie offen oder begrenzt kann man denn dann in so einer Institution diskutieren, auch vielleicht jenseits der kirchlichen Lehrmeinung? Wie ist bisher Ihr Eindruck?
Kuhr: Man kann im Rahmen der Akademie sehr wohl offen seine eigene Haltung und seinen Ansatz mitteilen. Aber man nimmt deutlich wahr, dass sich die Mitglieder mehr oder weniger selbstverständlich der kirchlichen Lehre verbunden und verpflichtet fühlen, nicht zuletzt, weil es in den Statuten der Akademie verankert ist, dass sie im Sinne des kirchlichen “Ja zum Leben” arbeitet.
DOMRADIO.DE: Der wissenschaftliche Austausch, von dem Sie berichtet haben: Wie konkret werden diese Gespräche in kirchliche Positionen oder vielleicht auch in eine Weiterentwicklung von kirchlichen Positionen einfließen?
Schlögl-Flierl: Konkret können wir nicht sagen, was genau einfließt. Aber ich kann erzählen, dass wir sehr viel aufeinander gehört haben und vor allem unterschiedliche Kirchen und unterschiedliche Disziplinen angehört haben.
Wichtig ist also das aufeinander Hören und gemeinsam unterwegs Sein in kritischer Loyalität zur kirchlichen Lehre, so würde ich es sagen. Also dieses Ausloten von Grenzen wäre wirklich auch ein Auftrag und dieses gemeinsame Hinhören bei unterschiedlichen Themen, das habe ich sehr als Eindruck mitgenommen, das kenne ich von manch anderen wissenschaftlichen Tagungen so nicht.
Kuhr: Ich gehe davon aus, dass wenn beispielsweise das Glaubensdikasterium zu einer bioethischen Frage Stellung bezieht, es vorher die Akademie für das Leben einbezieht. Es ist dann an der Akademie, ihrerseits zu entscheiden, mit welchen ihrer Mitglieder sie zu der jeweiligen Frage korrespondiert.
Papst Franziskus schätzt die Akademie für das Leben in diesem Sinne und erteilt ihr des Öfteren konkrete Aufträge, beispielsweise zur Künstlichen Intelligenz oder zur Palliativversorgung oder anderen Themen. Was die Künstliche Intelligenz angeht, ist es der Akademie im Jahr 2020 tatsächlich gelungen, eine ethische Selbstverpflichtungserklärung unter anderen mit den Präsidenten von Microsoft und IBM zu unterzeichnen. Mittlerweile haben sich diesem sogenannten “Rome Call for AI Ethics” weitere weltweit agierende Unternehmen angeschlossen. Auch hier wurde unter den sehr unterschiedlichen Akteuren ein gemeinsames Anliegen stark gemacht, wie ich es vorhin beschrieben habe.
DOMRADIO.DE: Und dennoch ist es ja so, dass die katholische Kirche gerade unter Spannungen leidet, dass es weltkirchlich unterschiedliche Lager und Gruppierungen gibt. Bekommen Sie denn bei der Akademie von den Spannungen innerhalb der Kirche von dort etwas mit?
Schlögl-Flierl: Also direkt von den Spannungen haben wir bei dem Treffen nichts mitbekommen. Es ist eher so, dass wir die Welt der Bioethik abgebildet bekommen und das dann kritisch diskutieren.
Weltkirchlich bekommen wir mit, dass verschiedene Vertreter_Innen, unterschiedliche Professionen in einer Person abbilden, beispielsweise sowohl Mediziner als auch Priester sind. Mir ist der Erzbischof von Chile besonders in Erinnerung geblieben, der sehr engagiert einen Vortrag über Bildung gehalten hat. Wir haben also eher die Buntheit der Weltkirche mitbekommen.
Kuhr: Die Diskussionen waren nicht so spannungsreich, wie wir es bisweilen in Deutschland kennen. Im Gegenteil, die Atmosphäre in der Akademie strahlt eine große Herzlichkeit aus.
DOMRADIO.DE: Wir sprechen ja auch viel im Moment über die Rolle der Frau in der Kirche. Wie wichtig ist denn so aus Ihrer Sicht, dass zwei Frauen aus Deutschland in diese Akademie berufen worden sind?
Schlögl-Flierl: Insgesamt sind drei Frauen aus dem deutschsprachigen Raum berufen worden. Die Ethikerin Prof. Dr. Sigrid Müller aus Wien ist auch dabei. Ich habe schon bemerkt, dass bisher die Frauen im Gremium eher im Medizinbereich waren und jetzt sind drei Theologinnen berufen worden.
Da freuen wir uns sehr über die Ehre. Wir sind bei der Akademie vielfach ins Gespräch gekommen, und ich denke, das wird sich fortsetzen, dass wir hier versuchen, gemeinsam im Gespräch zu bleiben.
Kuhr: In Rom wird die weibliche Perspektive durchaus sehr geschätzt und man ist sich bewusst, dass Frauen andere Wahrnehmungen in eine Diskussion einbringen als Männer.
Es geht dann aber weniger um amtskirchliche Konsequenzen als vielmehr um das Ernstnehmen dieser weiblichen Perspektiven als solche. In den Kontext ordne ich unsere Aufnahme in die Akademie ein und ich freue mich, eine dieser Frauen zu sein.
Das Interview führte Mathias Peter.