domradio.de: Warum ist das alles nicht so einfach? Warum kann man nicht einfach sagen: Wir sind die große christliche Kirche?
Jan Hendrik Stens (Theologie-Redaktion): Man kann das schon sagen. Der Glaube an Vater, Sohn und Heiligen Geist ist unser gemeinsames christliches Fundament. Aber es hat in 2.000 Jahren Kirchengeschichte immer wieder Streit um bestimmte Glaubensinhalte gegeben. Beispielsweise haben die Apostel auf ihrer ersten Versammlung gestritten, ob die frohe Botschaft nur an die Juden oder auch an die Heiden geht. Danach gab es in den kommenden Jahrhunderten sofort die nächsten Streitigkeiten, und auch durch politische Ereignisse haben sich immer wieder einzelne Gruppen abgesplittert und neue Traditionen begonnen. Somit haben wir heute ein buntes Geflecht von ganz verschiedenen Traditionssträngen - die lateinisch-abendländische Tradition, ägyptisch, west-syrisch, ost-syrisch, kaukasisch, byzantinisch. Da gehören die ganzen verschiedenen christlichen Konfessionen dazwischen. Hier einen Dialog zu finden, ist mitunter auch recht schwierig, weil sich die Traditionen seit Jahrhunderten zum Teil ganz unterschiedlich entwickelt haben.
domradio.de: Wenn Parteien uneins sind - politisch oder unpolitisch - gibt es häufig einen Kompromiss. Warum aber darf Ökumene kein Kompromiss sein?
Jan Hendrik Stens: Hier geht es um Wahrheit. In der Politik muss man natürlich pragmatisch denken. Man möchte ein Regierungsprogramm auf den Weg bringen und die Zeit drängt dabei hin und wieder auch. Beim Handeln oder Feilschen ist es beispielsweise auch so: Der eine bietet das, der andere verlangt jenes. Aber hier geht es um Wahrheit, und Wahrheit kennt im Grunde keine zeitliche Bedrängnis. Bei der Wahrheit muss man ringen und hierbei muss man viel um den Heiligen Geist beten. Das bedeutet, dass die Einheit, von der Christus im Johannesevangelium spricht, indem er sagt, er möchte, dass alle eins seien, ein Geschenk Gottes ist. Um diese Einheit müssen wir beten, wir müssen aber auch um diese Einheit immer wieder neu ringen. Wir müssen uns mit den Differenzen zwischen den einzelnen Konfessionen wirklich offen und ehrlich auseinandersetzen und dürfen diese nicht übertünchen. Wir müssen aber natürlich auch schauen, dass wir auf dem, was uns jetzt schon vereint, aufbauen können.
domradio.de: Wie kann man sich denn annähern, damit dieses Ziel irgendwann einmal erreicht wird?
Jan Hendrik Stens: Das geht am besten im ökumenischen Dialog. Kurt Kardinal Koch, der Präsident des Rates zur Förderung der Einheit der Christen, hat gesagt, man habe vieles in den vergangenen Jahrzehnten seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil aus römisch-katholischer Sicht erreicht. Wir sind schon von der Vorstellung her erheblich weiter, als wir in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ausgehen konnten. Aber Kardinal Koch sagt auch, es gebe vor allem noch das Thema der Ekklesiologie, also der Frage, was wir eigentlich unter Kirche verstehen. Was bedeutet Kirche? Wie konstituiert sich Kirche? Und die Frage nach dem Petrusamt, also nach dem Amt des Papstes stellt sich auch noch. Welche Bedeutung hat das? Kurt Kardinal Koch sagt, dass dies die Herausforderungen für die Ökumene in den nächsten Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, bedeutet. Damit müssen wir uns im Dialog zwischen den einzelnen Konfessionen auseinandersetzen. Das ist sicherlich auf lange Zeit angelegt und kann nicht übers Knie gebrochen werden.
domradio.de: Ist es absehbar, dass sich in den nächsten 50 Jahren etwas tut, so dass wir von einer Einheit sprechen können?
Jan Hendrik Stens: Es stellt sich natürlich auch die Frage, was wir unter "Einheit" verstehen. Es gibt hier einerseits die Ökumene der Profile. Dann gibt es andererseits die Ökumene der versöhnten Verschiedenheit. Was stellen wir uns eigentlich unter "Einheit" vor? Aus römisch-katholischer Sicht ist ganz klar, dass die Einheit dann gegeben ist, wenn wirklich alle zur gemeinsamen Eucharistie zusammenfinden. Das ist das große Ziel am Ende des Weges. Aber weil die Eucharistie für uns Katholiken konstitutiv und Kirche begründend ist, kommen wir an der ekklesiologischen Frage nicht vorbei. Ich glaube nicht, dass das so schnell erreicht wird. Aber hier ist Geduld gefragt und so lange wir auf diesem Weg sind, müssen wir schauen, was uns verbindet und was jetzt schon möglich ist. Darauf können wir dann aufbauen.
Das Interview führte Tobias Fricke.