Theresienstadt-Komponist Ullmann vor 125 Jahren geboren

Seine Atlantis-Oper machte den Nazis Angst

Gerade wurde eine 97-Jährige verurteilt, weil sie mit 18 den Nazis bei der Ermordung Zehntausender half. Deutschlands dunkelste Zeit ist noch lebendig; auch die Geschichte des Theresienstädter Komponisten Viktor Ullmann.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
In Theresienstadt war der Komponist 25 Monate gefangen. / © Rainer Hesse (shutterstock)
In Theresienstadt war der Komponist 25 Monate gefangen. / © Rainer Hesse ( shutterstock )

25 Monate war Viktor Ullmann im Ghetto Theresienstadt gefangen; mindestens ebenso viele Werke komponierte er dort, bevor ihn die Nazis 1944 mit dem "Künstlertransport" nach Auschwitz in den Tod schickten. Die Geschichte des besten der "Theresienstädter Komponisten", der vor 125 Jahren geboren wurde, gehört zu den absurdesten und grausamsten Kapiteln des Holocaust.

Trotz Elend produktiv

"Unser Kunstwille (war) unserem Lebenswillen adäquat", notiert Ullmann im Herbst 1944, nach etwa zwei Jahren in Theresienstadt. Die dorthin verschleppten Komponisten, Bildhauer, Schauspieler und Dichter hätten "keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen" gesessen, schreibt er in Anspielung auf den biblischen Psalm vom Volk Israel im Exil. Denn dem unvorstellbaren Elend zum Trotz sind die Künstler schöpferisch produktiv; Ullmann schreibt im "Vorzeigelager" nahe Prag seine Schlüsselwerke.

In der einstigen Garnisonsstadt mit 4.000 Einwohnern sind ab den 40er Jahren 58.000 Menschen zusammengepfercht, vor allem Juden aus Böhmen und Mähren, Österreich und Deutschland. Doch für ausländische Mächte wird dort ein Schein-Idyll inszeniert, das über die Vernichtungspläne der Nazis hinwegtäuschen soll: Eine Bibliothek, ein Kaffeehaus, Konzertaufführungen, offene "Freizeitgestaltung" - der heute nur noch in Teilen erhaltene NS-Propagandafilm "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt" zeigt diese Farce.

Dank Lexikon unvergessen

Echt sind dagegen Kraft und Überlebenswille der Künstler - und in vielen ihrer Werke dokumentiert: so unter anderem in der bekannten Kinderoper "Brundibar" von Hans Krasa sowie in Opern, Klaviersonaten und Liederzyklen Ullmanns, die sich seit ihrer Wiederentdeckung in den Konzertsälen der Welt etablieren konnten. Dass er nicht vergessen ist, verdankt sich auch dem "Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit" der Universität Hamburg.

Viktor Ullmann wird am 1. Januar 1898 in Teschen (Österreich-Ungarn, heute Cesky Tesin) geboren. Beide Eltern sind jüdischer Herkunft, doch schon vor Viktors Geburt zum katholischen Glauben übergetreten. Schon am Gymnasium in Wien zeigt sich Viktors musikalische Begabung; er erhält Zugang zu Arnold Schönberg und sogar Aufnahme in dessen Kompositionsklasse. Das Jurastudium bricht er ab, heiratet mit 21 seine Kommilitonin Martha Koref und geht nach Prag, wo Alexander Zemlinsky sein Mentor wird.

Viktor Ullmann, Komponist in Theresienstadt

"Unser Kunstwille (war) unserem Lebenswillen adäquat"

Ullmann macht sich als Komponist und Dirigent am Prager Neuen deutschen Theater einen Namen. Zwischenzeitlich ist er jeweils zwei Jahre Kapellmeister in Zürich und - aufgrund seines Interesses an Rudolf Steiners Lehre - anthroposophischer Buchhändler in Stuttgart.

Nach seiner Scheidung 1931 heiratet er Annie Winternitz, mit der er vier Kinder bekommt. Sein Leben als erfolgreicher Komponist und Musikkritiker für Presse und Rundfunk endet 1939 mit dem Einmarsch der Deutschen in Prag.

Berufsverbot wegen jüdischer Herkunft

Ullmann erhält wegen seiner jüdischen Herkunft Berufsverbot, Einnahmen hat er nur noch durch die Arbeit in der Prager Jüdischen Kultusgemeinde. Hinzu kommt die Trauer um seine Eltern und zwei seiner Kinder, die 1939 per Kindertransport nach England geschickt werden, sowie das Ende seiner zweiten Ehe 1941: Ullmann leidet zunehmend an Depressionen.

Am 8. September 1942 wird er mit seiner dritten Frau Elisabeth nach Theresienstadt deportiert. Bis dahin erreicht seine Werkliste die Opuszahl 41. Der größte Teil der Klavierkompositionen, Opern und Lieder ging wohl während der Besatzungszeit verloren.

SS verbot eine Aufführung

Im Ghetto entstehen Ullmanns Schlüsselkompositionen: darunter ein Melodram nach Rilkes "Cornet"-Dichtung und die mit sehr modernen Bezügen zum Jazz versehene Oper "Der Kaiser von Atlantis" nach dem Libretto von Mithäftling Peter Kien: Müde von Krieg und Massenmord verweigert der Tod seine Dienste. Der Diktator, der damit seine größte Waffe - die Abschreckung - einbüßt, verliert all seine Macht. - Kein Wunder, dass die SS eine Aufführung verbot.

Ullmann wird am 16. Oktober 1944 im Künstlertransport zusammen mit seiner Frau nach Auschwitz deportiert und dort zwei Tage später in den Gaskammern ermordet. Auch seine früheren Ehefrauen sowie zwei seiner Kinder sterben durch die Nazis.

Ullmanns "Atlantis"-Oper wird 1975 in Amsterdam uraufgeführt. Auf deutschen Bühnen ist der Einakter seit 1987 zu finden.

Der Holocaust: systematischer Völkermord an sechs Millionen Menschen

Holocaust ist die nahezu weltweit gebräuchliche Bezeichnung für den Völkermord an der jüdischen Bevölkerung Europas durch die Nationalsozialisten. Ihm fielen etwa sechs Millionen Menschen zum Opfer. In Polen wurden rund 90 Prozent der Menschen jüdischen Glaubens umgebracht, in anderen europäischen Ländern wie in Ungarn oder den Niederlanden mehr als 70 Prozent. Der Begriff Holocaust stammt vom griechischen Wort "holokauston" und bedeutet Brandopfer (wörtlich: "ganz verbrannt").

Zaun in Auschwitz-Birkenau / © Markus Nowak (KNA)
Zaun in Auschwitz-Birkenau / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
KNA