DOMRADIO.DE: Ist es denn sinnvoll, diesen Streit öffentlich auszutragen? Wäre es nicht besser gewesen, das untereinander zu klären?
Wolfgang Thierse (Ehemaliger Bundestagspräsident und ehemaliges Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken / ZdK): Streit ist doch nicht per se etwas Schlechtes. Dass es Debatten über das Programm gibt, wer reden soll und welche Themen angeschlagen werden, gehört doch dazu. Das kann man auch ganz offen führen. Es muss dabei ja nicht gehässig und giftig zugehen.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie sich denn von Veranstaltungen mit Ost-Bezug inhaltlich auf einem Katholikentag wünschen?
Thierse: Ich weiß noch nicht, wie das Programm aussieht. Deswegen kann ich den Vorwurf weder positiv noch negativ bewerten. Aber natürlich ist es sinnvoll, wenn man in Erfurt zusammenkommt, noch einmal die ostdeutschen Erfahrungen zur Geltung zu bringen.
Dazu gehören die Erfahrungen ostdeutscher Christen, ostdeutscher Katholiken, aber auch die Probleme des Zusammenwachsens in den letzten 30 Jahren. Da ist ja viel Positives passiert.
Aber es ist noch nicht alles gelungen, es gibt immer noch Streit und Unzufriedenheiten. Darüber muss man auch auf einem Katholikentag sprechen.
DOMRADIO.DE: In Stuttgart gab es auf dem Katholikentag noch 2.000 Veranstaltungen, in Erfurt sind es nur noch 500 Veranstaltungen. Da muss man auch haushalten, wie man die Themen gewichtet, oder?
Thierse: Das ist sicherlich so. Aber wenn man in Erfurt, also in Ostdeutschland tagt, ist es vernünftig, das auch zum Thema zu machen. Man muss ja nicht bei 500 Themen gleich 50 Veranstaltungen zu diesem Thema machen, aber zwei oder drei kann ich mir schon vorstellen. Dazu gehören die ostdeutschen Erfahrungen, die ja die Erfahrungen einer Diaspora sind. Was ist daraus für heute zu lernen?
Darüber zu reden, finde ich ganz sinnvoll, erst recht nach der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, die gerade veröffentlicht worden ist, wo uns ja mitgeteilt wird, dass die Mitgliederzahlen der Kirchen rapide abnehmen und dass dieser Prozess weitergehen wird. Man muss damit umgehen, dass man dadurch nicht nur eingeschüchtert wird und schlechte Laune oder Zukunftsängste entwickelt.
DOMRADIO.DE: Ticken denn die Katholiken in Ostdeutschland anders als die in Westdeutschland?
Thierse: Wir haben jedenfalls einen gewissen Erfahrungsvorsprung. In Ostdeutschland hat man nie so etwas wie ein katholisches oder christliches Milieu erlebt, dem man ausgesetzt war, das einen geformt hat. Das, was wichtig ist, hat mit der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zu tun. Wir gehen auf eine Kirche der freien Entscheidung zu. Das ist etwas, womit wir eine Erfahrung haben.
In Ostdeutschland Katholik und Christ gewesen zu sein, hieß, sich immer wieder neu dafür zu entscheiden, den eigenen Glauben gegen Mehrheiten, gegen Fremdheiten vor der eigenen Intelligenz und dem eigenen Gewissen zu rechtfertigen. Es hieß aber auch, ihn gegenüber den anderen zu rechtfertigen, zu erklären, dazu freiwillig zu stehen, weil es nicht den stummen Zwang des Milieus gegeben hat.
DOMRADIO.DE: Manfred Ruge, Vorsitzender des Trägervereins, war lange Jahre Erfurter Oberbürgermeister und ist Ehrenbürger der Stadt und bringt auch eine entsprechende Biografie als Ost-Katholik mit. Er hatte kritisiert, dass ostdeutsche Themen und Protagonisten im Programm nicht ausreichend repräsentiert seien. Fehlt vielleicht diese Perspektive bei den Veranstaltern und dem Bistum Erfurt? Bischof Neymeyr kommt ja aus Worms und Irme Stetter-Karp vom ZdK stammt aus Ellwangen.
Thierse: Wir wollen Herkunft nicht zum Vorwurf machen. Herkunft ist auch nicht per se ein Vorteil. Aber wenn eine prominente Stimme daran erinnert, dass man die Gelegenheit des Ortes Erfurt dazu benutzen soll, auch diese ostdeutsche Perspektive stärker zur Geltung zu bringen, dann ist das doch in Ordnung. Ich denke, das wird auch Berücksichtigung finden.
DOMRADIO.DE: Nun gibt es aber auch klare Worte. Bischof Neymeyr wirft Manfred Ruge gar vereinsschädigendes Verhalten vor. Mit einem Streit in so einen Katholikentag zu starten, strahlt nicht unbedingt Positives aus. Was muss denn passieren, damit dieses Fest des Friedens noch ein gelungenes Glaubensfest wird?
Thierse: Frieden ist nicht nur reine Harmoniesoße. Dass es Streit vor einem großen Ereignis gib, schadet dem Ereignis nicht. Wichtig ist die Art, wie man ihn austrägt. Das scheint mir das einzig Sinnvolle, was ich dazu als Kommentar sagen kann.
Aber wie gesagt, ich kann nicht beurteilen, wie das Programm aussieht. Ich bin sehr neugierig, was uns in den nächsten Wochen oder Monaten mitgeteilt wird. Ich jedenfalls kann sagen, dass ich schon eine Einladung zu diesem Katholikentag habe, um dort auch aufzutreten. Und ich bin ein ostdeutscher Katholik.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich von dem Katholikentag?
Thierse: Dass er sehr diskussionsfreudig ist und auch die aktuellen Streitthemen und Differenzpunkte in der Gesellschaft, in der Politik und in der Kirche anspricht und sich nicht vor ihnen drückt. Denn um etwas zu beschweigen und zu besänftigen, braucht man keinen Katholikentag. Das kann man auch zu Hause in seinen eigenen vier Wänden machen.
Das Interview führte Johannes Schröer.