Tierethiker analysiert vor EU-Wahl Parteiprogramme zum Klima

"Klimawandel kann nicht verhandelt werden"

Die meisten Parteien sehen im Klimawandel ein zentrales Thema der Zukunft. Doch manche erkennen die Dringlichkeit nicht an. Der Theologe Sebastian Knapp analysiert kurz vor der Europawahl die Programme der Parteien.

Symbolbild Europafahne und Windrad / © Sehenswerk (shutterstock)
Symbolbild Europafahne und Windrad / © Sehenswerk ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Warum ist es aus Ihrer Sicht überhaupt wichtig, am Sonntag wählen zu gehen? 

Symbolbild Stimmabgabe an einer Wahlurne / © roibu (shutterstock)
Symbolbild Stimmabgabe an einer Wahlurne / © roibu ( shutterstock )

Sebastian Knapp (Dozent beim Institut für theologische Zoologie in Münster): Wir befinden uns aktuell in einer unbeschreiblichen Klima- und Artenkrise. Das ist für mich persönlich der Ansporn, zur Wahl zu gehen. Die Mehrheitsverhältnisse prägen am Ende die politische Agenda der neuen EU Kommission.

Deutschland stellt mit 96 Sitzen im Europaparlament die größte aller Ländergruppen. Wir haben die Chance, ein starkes Signal zum Thema Klima- und Artenschutz zu senden. Von daher ist es auch wichtig, dass wir das tun.

Auf der anderen Seite ist es besonders wichtig, sich diesem Rechtsruck entgegenzustellen. Wir stellen fest, dass der Klimaschutz in der EU von diesen Parteien etwas gebremst wird. Die drücken beim Thema Klima ein Auge zu und wollen die Probleme nicht sehen.

DOMRADIO.DE: Welche umweltpolitischen Themen sind aus Ihrer Sicht politisch relevant? 

Knapp: Da gibt es eine ganze Fülle an umweltpolitischen Themen. Zum Beispiel das Thema faire und nachhaltige Landwirtschaft, gerade mit Blick auf die Massentierhaltung, Reduktion der Emissionen in der EU, nachhaltige Mobilität und Förderung von Schienenverkehr anstatt des Autos. Fragen nach Renaturierung und Biodiversität sind aktuell auch sehr zentral. 

DOMRADIO.DE: Was sagen denn die Parteiprogramme zum Thema Umwelt?

Sebastian Knapp

"Besonders zu betonen sind aber die Grünen und die Linken, die diese Themen sehr weit oben auf der Agenda haben."

Knapp: Mittlerweile betonen fast alle Parteien die zentrale Bedeutung von Umwelt- und Klimafragen. Besonders für die großen Parteien in Deutschland trifft das eigentlich auf alle zu, außer auf die AfD, die nach wie vor den menschengemachten Klimawandel leugnet und deshalb Maßnahmen in diesem Bereich ablehnt.

Besonders zu betonen sind aber die Grünen und die Linken, die diese Themen sehr weit oben auf der Agenda haben. Aber auch die SPD stellt diese Themen zunehmend in den Fokus.

Da es bei der Europawahl keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, lohnt sich auch ein Blick auf die kleineren Parteien. Da sind besonders Volt, die Tierschutzpartei und auch die Klimaliste zu nennen, die diesen Themen einen sehr hohen Rang eingeräumt haben.

DOMRADIO.DE: Sie arbeiten für das Institut für Theologische Zoologie. In welcher Form ist denn Tierschutz Thema in politischen Debatten? 

Sebastian Knapp

"91 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in der EU wünschen sich, dass Tiere in der Landwirtschaft besser geschützt werden."

Knapp: Der Tierschutz ist ein zentrales Thema in politischen Debatten. Das Bewusstsein dafür wächst in der Bevölkerung immer mehr. Die Stiftung "Vier Pfoten" hat dazu mal ein paar Zahlen zusammengefasst. 91 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in der EU wünschen sich, dass Tiere in der Landwirtschaft besser geschützt werden. 84 Prozent der Menschen sind dafür, dass man man die Regeln strenger fasst.

Letztes Jahr haben 1,5 Millionen Menschen in der EU ihre Unterschrift für eine Petition gegen Pelzfarmen unterschrieben. Und laut einer Umfrage von "ProVeg" sind knapp 70 Prozent der Menschen in Deutschland für ein Verbot der Massentierhaltung.

Man sieht schon, dass es ein großes Interesse gibt. Und so gibt es natürlich auch ein großes Interesse der Politik an den Themen. Nicht umsonst gibt es auch verschiedene Parteien, die das so zentral behandeln. 

DOMRADIO.DE: Es geht da sehr stark um Tierhaltungsformen. Geht es auch nicht nur um Nutztiere? 

Knapp: Es geht vor allem um Nutztiere und die Art der Massentierhaltung in der EU. Aber dazu gehören auch andere Themen. Lebend-Tiertransporte sind zum Beispiel ein ganz wichtiges Thema. Wie werden in diese Tiere transportiert? Kommen die von außerhalb der EU?

Gerade der Blick auf Tiertransporte, der oft auch eine Tortur für die Tiere darstellt, ist in den Debatten sehr zentral.

Eine andere Frage, die immer mehr aufkommt, ist die nach Tierverkäufen im Internet. Insbesondere der Welpenhandel, der so gut wie überhaupt nicht überwacht ist, ist da zu nennen. Da passiert sehr viel, was nicht im Sinne des Tierschutzes ist. Pelzfarmen sind ein wichtiges Thema und Fischerei-Quoten. All das sind Themen, mit denen die Parteien sich zu positionieren versuchen.

DOMRADIO.DE: Wächst das Bewusstsein für die Schöpfung innerhalb der Parteien? 

Sebastian Knapp

"Es ist trotzdem wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Klimawandel nicht verhandelt werden kann."

Knapp: Die Zustimmung wächst, auch wenn man sagen muss, dass der "Green Deal" der EU, mit dem versucht wird die EU bis 2050 klimaneutral zu bekommen, bloß von einer sehr knappen Mehrheit getragen wird und sich zum Beispiel die CDU/CSU immer wieder kritisch gegenüber diesem "Green Deal" äußert. Da würde ich mir schon wünschen, dass eine klarere Pro-Stellung bezogen wird.

Aktuell haben wir auch die Situation, dass dieses ganze Klimathema bei der letzten Wahl vor fünf Jahren viel mehr im Fokus stand, als jetzt wegen der vielen sicherheitspolitischen Fragen. Es ist trotzdem wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass der Klimawandel nicht verhandelt werden kann. Da müssen dringen Schritte und Maßnahmen eingeleitet werden. Viele junge Menschen haben das verstanden.

Daher hoffe ich, da bei den EU-Wahlen auch junge Menschen ab 16 Jahren an die Urnen gehen können, dass dort ein starkes Zeichen gesetzt werden kann.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Europawahl

Alle 5 Jahre wählen die Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union (EU) ein neues Europäisches Parlament. Alle, die wählen gehen, entscheiden mit, wer die Bürger und Bürgerinnen im Europäischen Parlament vertritt. Gewählt wird in allen Staaten der EU.

Vor der Europawahl / © Boris Roessler (dpa)
Vor der Europawahl / © Boris Roessler ( dpa )
Quelle:
DR