Die einen sprechen von Suizid, die anderen von Mord. Klar ist bislang nur so viel: Der mittlerweile rund sechs Wochen zurückliegende Tod von Bischof Jean-Marie Benoit Balla weist einige Ungereimtheiten auf. Wenn es Selbsttötung war: Welche Gründe hatte der Bischof von Bafia, freiwillig aus dem Leben zu scheiden? Wenn es Mord war: Welche Motive hatten der oder die Täter, den Kirchenmann umzubringen?
Mysteriöse Umstände
Als gesichert gilt: Der 58-Jährige verließ laut Berichten von Augenzeugen am 30. Mai gegen elf Uhr abends sein Haus in Bafia, einer 60.000-Einwohner-Stadt im Herzen Kameruns, und fuhr mit dem Auto davon. Der leere Wagen wurde tags darauf auf einer Brücke über den Sanaga-Fluss gefunden, etwa 80 Kilometer nördlich der Hauptstadt Jaunde. Der Bischof selbst blieb verschwunden, bis ein Fischer den Leichnam am 2. Juni weiter flussabwärts im Wasser treibend fand.
Bei allen weiteren Details gehen die Schilderungen auseinander. Unbestätigten Berichten zufolge lag auf dem Beifahrersitz von Ballas Auto ein Zettel mit dem handschriftlichen Vermerk "Ich bin im Wasser". Das würde für einen Suizid sprechen. Die Bischöfe des Landes hielten am 13. Juni im Anschluss an eine außerordentliche Vollversammlung zum Tod ihres Mitbruders jedoch fest, nach ersten Erkenntnissen sei eine Selbsttötung auszuschließen: "Er wurde brutal ermordet."
Auf welche Erkenntnisse sich die Bischöfe dabei bezogen, ließ die Erklärung offen. Bei der Identifikation des Leichnams waren Papstbotschafter Piero Pioppo, der Bischofskonferenz-Vorsitzende Erzbischof Samuel Kleda sowie der Erzbischof von Jaunde, Jean Mbarga, zugegen. Die Behörden leiteten Ermittlungen ein; eine erste Autopsie, vorgenommen am 2. und 22. Juni von örtlichen Medizinern, schien die Mordtheorie zu bestätigen.
Kein Wasser in der Lunge
In der Lunge des Toten sei "kein Tropfen Wasser" gefunden worden, berichteten Medien über die Untersuchungen. Der Bischof, das zumindest wäre die logische Schlussfolgerung, war schon tot, als er im Sanaga-Fluss landete. Der zuständige Generalstaatsanwalt Jean Fils Ntamack ließ jedoch ein zweites Gutachten einholen, diesmal über Interpol. Die Spezialisten konnten, wie Ntamack am 4. Juli der Presse mitteilte, keinerlei Spuren von Gewaltanwendung am Körper des Toten feststellen. Insofern sei von Ertrinken als Todesursache auszugehen.
Einer der beiden hinzugezogenen auswärtigen Experten ist Michael Tsokos von der Berliner Charite. Kann er die Angaben von Ntamack bestätigen? "Ich bin leider nicht befugt, dazu etwas zu sagen, da es sich um ein laufendes Todesermittlungsverfahren handelt, in das ich als Sachverständiger involviert bin", antwortet der renommierte Rechtsmediziner. Die Bischöfe halten unterdessen an der Mordtheorie fest.
Angespannte Lage in Kamerun
Der ganze Vorgang wirft nach Ansicht von Frank Wiegandt ein bezeichnendes Licht auf die angespannte Lage in Kamerun. Der seit 1982 amtierende Präsident Paul Biya habe das Land "heruntergewirtschaftet", sagt der der Länderreferent des katholischen Hilfswerks Misereor.
Im Norden terrorisieren die Islamisten von Boko Haram die Bevölkerung, im Westen beklagen die englischsprachigen Provinzen immer offener Diskriminierungen durch die französischsprachige Mehrheit - "und jetzt machen die Bischöfe eine weitere Front auf". Die stellen sich damit stellen gegen die Behörden und letzten Endes auch gegen Biya - was sie bislang vermieden hatten.
"Offenbar ist die Geduld der Bevölkerung - und auch der Bischöfe - am Ende", fasst Wiegandt zusammen. Auch wenn der 84-Jährige Biya meist außer Landes weilt, etwa in Genf oder Baden-Baden, halten seine Vertrauten die Zügel fest in der Hand - noch. Bei den Wahlen 2018 will Biya offenbar erneut antreten.
Was den toten Bischof anbelangt, so blühen die wildesten Spekulationen. Balla sei weiteren ungeklärten Todesfällen von Priestern auf der Spur gewesen, lautet eine davon. Was denkt Wiegandt selbst? Da könne man nur spekulieren, sagt der Misereor-Mann.
Eigentlich sei schwer vorstellbar, dass der als ruhig und besonnen geltende Bischof mit dem Gedanken spielte, seinem Leben ein Ende zu setzen. War es also doch Mord? Wiegandt zuckt mit den Achseln und seufzt. "In Kamerun ist derzeit alles möglich."