domradio.de: Wie haben die Bischöfe in Österreich auf die Tragödie mit 71 toten Flüchtlingen reagiert?
Dr. Michael Prüller (Leiter des Amts für Öffentlichkeitsarbeit der Erzdiözese Wien): Mit großer Betroffenheit. Das Flüchtlingselend beschäftigt uns ja leider schon lange, aber es ist doch noch einmal etwas anderes, wenn der Tod auf der Flucht bis zu uns kommt, wenn wir so nahe und so direkt Zeugen werden von dem ungeheuren Leid, dass sich seit Monaten abspielt und auf das wir immer noch viel zu verhalten reagieren.
domradio.de: Ist die bisherige europäische Flüchtlingspolitik verfehlt?
Prüller: Ich würde es eine nicht stattfindende Flüchtlingspolitik nennen. Es ist eine ganz große Schande, dass Europa zu keiner Einheitlichen Aktion findet, weder bei der Bekämpfung der Ursachen der Flucht noch bei der Linderung des Schicksals der Flüchtlinge in irgendeiner Weise. Das beginnt mit der Frage, was man in den Herkunftsländern tun kann und endet bei der Frage der Unterbringung. Wo ist hier die europäische Solidarität? Das ist eine Bewährungsprobe für den europäischen Gedanken und die europäischen Werte.
domradio.de: Handelt die Kirche in Österreich?
Prüller: Wir sind vor Ort in den Gemeinden sehr aktiv. Es gibt viele Initiativen bei uns für die Unterbringung der Flüchtlinge. Wir haben wie in Deutschland ja einen ungeheuren Anstieg der Flüchtlingszahlen. Einige tausend Flüchtlinge sind von der Kirche untergebracht und versorgt. Die Caritas ist die größte nichtstaatliche Hilfe für Flüchtlinge in Österreich. Es gibt auch viele Bemühungen, die Menschen zu integrieren: Deutschkurse, Sport, gemeinsames Beisammensein.
Und die Kirche hat natürlich eine Stimme in der öffentlichen Diskussion. Wir wollen als Kirche bald auch ein gemeinsames Zeichen setzen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das auch gelingt, aber das kann nur ein Zeichen sein, damit etwas bewegt wird.
Es wird am Montag einen Gedenkgottesdienst im Wiener Stephansdom geben mit Kardinal Schönborn. Alle Kirchen Österreichs sollen die Glocken läuten. Auch die Pummering, die symbolträchtigste Glocke des Landes, wird läuten, um auf die Not aufmerksam zu machen, die hier unmittelbar vor der Tür herrscht. Wir brauchen einen Zusammenschluss der Herzen, dafür wollen wir gemeinsam beten.
Das Interview führte Susanne Becker-Huberti.