Plötzlich scheint dem nach eigenen Worten "lebensfreundlichsten Präsidenten aller Zeiten" das Thema Abtreibung nicht mehr so wichtig zu sein.
"Die Bundesstaaten werden das per Abstimmung oder Gesetzgebung oder durch beides festlegen", erklärte Donald Trump am Montag in einer Videobotschaft und erteilte damit der Forderung nach einer US-weit einheitlichen Regelung eine Absage. "Was immer entschieden wird, muss Gesetz des jeweiligen Staates sein", so der frühere Regierungschef.
Laut US-Verfassung kein landesweit gültiges Recht auf Abtreibung
Das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten hatte 2022 geurteilt, dass aus der US-Verfassung kein landesweit gültiges Recht auf Abtreibung abgeleitet werden kann. Die Zuständigkeit für die entsprechenden Gesetze liegt seither wieder bei den einzelnen Bundesstaaten. Etliche republikanisch regierte Staaten nutzten dies, um den Zugang zu Abtreibungen stark einzuschränken.
In Florida etwa setzte Gouverneur Ron DeSantis durch, dass Schwangerschaftsabbrüche künftig nur noch in den ersten sechs Wochen vorgenommen werden dürfen. Bisher galt eine Frist von 15 Wochen. Ausnahmen sind bei Vergewaltigung, Inzest und Gefahr für das Leben der Mutter vorgesehen.
Ob die Regelung Bestand hat, entscheiden allerdings die Wählerinnen und Wähler. Floridas Supreme Court machte kürzlich den Weg für ein Referendum im Herbst frei. Der Ausgang ist ungewiss. In mehreren ähnlichen Referenden unterlagen zuletzt die Abtreibungsgegner - auch in konservativ geprägten Staaten wie Kentucky und Kansas.
Trump hatte als designierter Präsidentschaftskandidat der Republikaner vor einer Woche angekündigt, Position zu dem polarisierenden Thema zu beziehen. Abtreibungsgegner bedrängten ihn hinter den Kulissen bis zur letzten Minute, sich für eine strikte Fristenlösung oder gar ein generelles Verbot einzusetzen.
"Wir sind tief enttäuscht"
"Wir sind tief enttäuscht", sagte Marjorie Dannenfelser, Vorsitzende der einflussreichen Organisation Susan B. Anthony Pro-Life America. Trump hätte nicht auf seine übervorsichtigen Berater hören sollen, die sich vor Stimmenverlusten vor allem bei Frauen fürchteten.
"Wir müssen unseren gesunden Menschenverstand gebrauchen", begründete Trump seine Entscheidung, die Zuständigkeit bei den Bundesstaaten zu belassen. Damit können Betroffene weiter in Staaten mit liberaler Gesetzeslage reisen, um dort einen Abbruch vornehmen zu lassen.
"für eine Kultur des Lebens"
Während auch andere Pro-Life-Gruppen ihre Enttäuschung ausdrückten, bekräftigten sie einhellig ihre Unterstützung für Trump bei der Präsidentschaftswahl im November. Der Gründer der evangelikalen Faith and Freedom Coalition, Ralph Reed, erinnerte an Trumps Verdienste "für eine Kultur des Lebens".
Dieser habe als Präsident drei konservative Richter an den Supreme Court geschickt, die ein halbes Jahrhundert liberaler Rechtsprechung in Sachen Abtreibung kassiert hätten. "Das hat es uns ermöglicht, die Ungeborenen zu schützen", betonte Reed.
Demoskopen bezweifeln nun, dass Trump durch seine neue Haltung Stimmen im liberalen Lager hinzugewinnen kann. Dafür habe er zu oft betont, was er in der Vergangenheit für die Abtreibungsgegner getan habe.
Der amtierende US-Präsident Joe Biden machte deutlich, dass er bis zur Wahl am 5. November keine Gelegenheit auslassen werde, an Trumps Rolle bei der Gestaltung der Abtreibungspolitik zu erinnern. Dass dieser jetzt den Bundesstaaten freie Hand lassen wolle, sei unglaubwürdig, heißt es aus dem Weißen Haus.