Über die Bedeutung des Gottesbezuges im Grundgesetz

Ein Gott, zu dem sich alle bekennen können

"Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen": Am 69. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes erläutert der Leiter des Katholischen Büros in Berlin die Bedeutung des Gottesbezuges in der Präambel.

Grundgesetz / © Jens Kalaene (dpa)
Grundgesetz / © Jens Kalaene ( dpa )

DOMRADIO.DE: "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben." So lautet die Präambel im Grundgesetz von 1949. Wie kam er dahin, dieser Präambelsatz?

Prälat Karl Jüsten (Katholisches Büro Berlin): Der Präambelsatz ist in einer historisch besonderen Situation formuliert worden. Es war ja im Grunde genommen unmittelbar in der Zeit nach dem Nationalsozialismus und die Verfassungsmütter und -väter haben sich gedacht, wir müssen eine Verankerung in der Verfassung in ihren Grundwerten festschreiben, die verhindert, dass jemals wieder ein rein von Menschen gemachtes System errichtet wird, das menschenverachtend ist und totalitär ist. So kamen die Verfassungsmütter und -väter auf die Idee zu sagen: Wir haben eine Verantwortung vor Gott und den Menschen. Das ist der sogenannte Transzendenzbezug. Es ist hier interessanterweise nicht der christliche Gott oder der Gott der Bibel gemeint, sondern es ist im Grunde genommen der Gott gemeint, der über allem steht und zu dem sich auch die bekennen können, die keine Christen sind.

DOMRADIO.DE: Das Grundgesetz sollte ja ein Provisorium sein bis zur Wiedervereinigung und bis man dann eine letztendliche Verfassung hat. Würde man heute so ein Grundgesetz neu schreiben, schriebe man das da noch rein?

Jüsten: Ich vermute mal ja. Wir haben jüngst einige Länderverfassungen gehabt wie etwa in Niedersachsen. Da ist erst jetzt der Gottesbezug aufgenommen worden. Und als wir die europäische Verfassung diskutiert hatten, war eine lebendige Diskussion, ob es da auch einen Gottesbezug geben müsste. In der französischen Tradition ist das etwas fremd. Deshalb hat man sich auf eine andere Formulierung geeinigt. Aber die Formulierung, auf die man sich in Brüssel geeinigt hat, hat im Grunde genommen die gleiche Absicht, nämlich dass man sich verantwortet vor der Menschheit und aus der Erfahrung der Geschichte heraus. Ich glaube, in Deutschland würden wir fast die gleiche Formulierung wieder bekommen, wenn nicht die gleiche.

DOMRADIO.DE: Kirche und Staat sind in Deutschland getrennt. Es gibt Menschen, die sagen, dass das Grundgesetz die christlichen Kirchen in einigen Punkten bevorzuge. Sehen Sie das auch so?

Jüsten: Das Grundgesetz bezieht sich in seinen Kirchenartikeln auf die Weimarer Reichsverfassung und die war sehr, sehr klug. Denn sie hatte nicht nur die christlichen beiden großen Kirchen im Auge gehabt, sondern etwa auch die jüdische Gemeinde damals. Und so ist das Grundgesetz offen für alle Religionsgemeinschaften und alle Religionsgemeinschaften können mit dem Staat eine ähnliche Beziehung eintreten, wie es die Kirchen in Deutschland auch getan haben, als das Grundgesetz geschrieben wurde. Damals waren wir Kirchen natürlich sehr viel dominanter, sehr viel größer, sehr viel stärker. Da waren wir ja die prioritären Ansprechpartner für den Staat. Aber mit der Zeit ist es ja auch so, dass der Islam – wenn er denn organisiert ist – für den Staat genauso ein Ansprechpartner ist. Konkretes Beispiel dafür ist die Islamkonferenz oder auch die Tatsache, dass die eine oder andere islamische Gemeinschaft auch den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts angestrebt hat.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet es für die Kirchen, dass Gott im Grundgesetz vorkommt?

Jüsten: Für uns hat das vor allen Dingen diese transzendentale Bedeutung. Dass die Menschen sich immer wieder bewusst werden, dass sie eine Verantwortung haben auch gegenüber Gott. Oder wenn man so will, dass nicht alles, was wir hier tun, rein menschengemacht ist. Wir erfahren ja immer wieder in totalitären Regimen, dass in der Regel Gott vergessen wird, weil sie sich im Grunde genommen nicht mehr gegenüber einem höheren Wesen verantworten – wenn man das jetzt mal nicht theologisch beantworten möchte. Wir würden als Christen natürlich immer sagen, dass wir verantwortlich sind unserem christlichen Gott gegenüber, dem Gott der Offenbarung, der zu uns gesprochen hat. Deshalb hat für uns der Text im Grundgesetz dann auch einen frommen Klang. Aber vom Grundgesetz selbst ist das eigentlich nicht angedacht.

DOMRADIO.DE: Es hat zum Beispiel 2014 mal eine Petition gegeben zur Abschaffung dieser Präambel und des Gottesbezugs – das ist abgelehnt worden. Sind wir da jetzt gefeit vor oder kommt vielleicht bald wieder jemand und sagt: "Das muss weg."

Jüsten: Es gibt immer wieder Menschen in unserem Land, die das weghaben wollen. Das ist in der Demokratie, in einer offenen Gesellschaft, natürlich das gute Recht, dass die Menschen denken und sagen können, was sie wollen. Aber ich sehe im Augenblick weder im Deutschen Bundestag noch überhaupt auch nur ansatzweise eine Debatte darüber, ob das infrage gestellt werden soll.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe / © Michael Jungblut (KNA)
Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe / © Michael Jungblut ( KNA )
Quelle:
DR