DOMRADIO.DE: Der Ökonom Milton Friedman hat vor 50 Jahren gesagt: Die soziale Verantwortung von Unternehmen ist es, ihre Gewinne zu maximieren. Von moralischem Gesäusel möge man sich fernhalten. Das sieht in der katholischen Soziallehre ja anders aus. Da spielt moralisches Gesäusel sehr wohl eine Rolle. Wird Wirtschaftsethik in Kriegszeiten noch wichtiger oder muss sie in diesen Krisenzeiten auch mal hinten anstehen?
Abt Gregor Henckel von Donnersmarck (Wirtschaftsethiker): Die Wirtschaftsmoral und die Wirtschaftslehre der katholischen Kirche sind kein Gesäusel, wie Milton Friedman das nennt, Im Gegenteil: Gerade in einer so katastrophalen Situation, wie wir sie jetzt vorfinden, müssen alle Initiativen, auch die wirtschaftlichen, sich ganz strengen moralischen, ethischen Prinzipien unterordnen. Wir brauchen mehr Wirtschaftsethik.
DOMRADIO.DE: Dann schauen wir ganz konkret auf das, was derzeit passiert. Es gibt Wirtschaftssanktionen, Großkonzerne ziehen sich aus Russland zurück. Die Vermögen von russischen Oligarchen im Ausland werden eingefroren. Sind das auch aus der Perspektive der katholischen Soziallehre die richtigen Maßnahmen?
Henckel von Donnersmarck: Ich glaube ja. Sie wissen, dass nach dem Dritten Reich in Deutschland und in Österreich Industrielle, die sich nicht zurückgezogen haben, sondern mit dem unrechtmäßigen Regime kooperiert haben, zu Recht später kritisiert und vor Gericht gestellt wurden.
Und ich glaube, wir sind in einer ganz ähnlichen Situation. Es ist klar, dass wirtschaftlich verantwortliches Handeln derzeit in Russland nicht möglich ist.
DOMRADIO.DE: Welche Reaktionen von Unternehmen könnten Sie sich vorstellen?
Henckel von Donnersmarck: Sie haben schon von den Unternehmen gesprochen, die sich aus Russland zurückziehen und dort nicht mehr arbeiten wollen. Das Problem speziell in Österreich ist natürlich, dass wir uns mit den Sanktionen schwer tun, weil wir sehr abhängig vom russischen Erdgas und russischen Ölimporten sind. Das ist also problematisch, wenn man da zu scharfe Sanktionen verhängt.
Es ist schade, dass man so abhängig ist und das zu wenig bedacht hat. Wir hatten ja bis vor wenigen Wochen das Gefühl, dass mit Russland ein vernünftiges Business - ein gutes Geschäft mit Öl und Lieferung und Zahlung - möglich ist. Aber das muss jetzt zurückstehen.
DOMRADIO.DE: Die andere Frage, die sich jetzt ja noch dringender als vorher stellt, ist die Verteilung knapper Güter. Die Ukraine gilt zum Beispiel als Kornkammer der Welt. Hilfswerke mahnen jetzt schon vor Hungersnöten in einigen Teilen der Welt. Wie Getreide verteilt werden soll, darüber wird gesprochen. Wie könnte man denn jetzt für eine gerechte Verteilung sorgen?
Henckel von Donnersmarck: Das ist ein Problem der Fachleute. Ich bin kein Fachmann in der Verteilungsfrage von Getreide. Aber hier muss man mit allen moralisch-ethischen Prinzipien, die die katholische Soziallehre bereithält, zu verhindern versuchen, dass Menschen Hunger leiden. Man muss versuchen zu überbrücken. Man wird also sicherlich nicht alles Getreide, das die Ukraine bisher geliefert hat, sofort ersetzen können. Man muss daher auf eine gerechte und sparsame Verteilung umsteigen oder eben auch Alternativen für das Getreide suchen.
DOMRADIO.DE: Und jeder einzelne von uns kann ja im Grunde genommen an der Börse in Unternehmen investieren. Was halten Sie davon, in Waffenkonzerne zu investieren? Was spricht aus ethischer Sicht dafür oder dagegen?
Henckel von Donnersmarck: Ich war selber einige Zeit lang im Aufsichtsrat einer Fondsfirma, die damals von einem kirchlichen Bankhaus in Wien organisiert wurde. Wir haben natürlich bei der Ethisierung dieser Fonds Waffenproduktion nicht in den Portfolios gehabt. Ich bin gleichzeitig Reserveoffizier des österreichischen Bundesheeres und ich würde sagen, die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Aber Waffenproduktion ist, vor allem wenn es um aggressive Waffen geht, bestimmt nicht moralisch verantwortlich.
DOMRADIO.DE: Was deutlich wird: In Zeiten eines Krieges werden ethische Wirtschaftsfragen nochmal sichtbarer. Was sind die grundsätzlichen Überlegungen, die man beim wirtschaftlichen Handeln derzeit noch dringender als sonst im Hinterkopf behalten müsste?
Henckel von Donnersmarck: Ich glaube, das Problem hat sich deutlich gezeigt mit dem Jahr 1989. Wir sind ja jetzt eigentlich am Ende dieser etwas über 30 Jahre nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus. Papst Johannes Paul II hat das in seiner Enzyklika sehr gut beschrieben. Es geht darum, dass wir nicht den Kapitalismus zum Sieger erklären. Wir dürfen im Westen nicht rabiaten Kapitalismus betreiben.
Ich fürchte, das ist in den 30 Jahren seit der politischen Wende nicht wirklich beachtet worden. Sondern man hat in den Finanzmärkten, aber auch in Verteilungsmärkten wie Amazon und der ganzen EDV-Branche, ethische Grundlagen nicht mehr berücksichtigt, was vielleicht früher, als der reale Kommunismus als Alternative bestand, ein bisschen ein schlechtes Gewissen verursacht hätte.
Also ja nicht den Kapitalismus zum alleinherrschenden Sieger erklären. Es gibt eine Form der sozialen Marktwirtschaft, wo Markt funktioniert, aber natürlich geregelt sein muss, damit er nicht asozial und unökologisch wird. Aber das muss man berücksichtigen.
Das Interview führte Dagmar Peters.