DOMRADIO.DE: Die Orthodoxe Kirche in der Ukraine hat beschlossen, sich vom Julianischen Kalender abzuwenden. Nun gibt es verschiedene orthodoxe Kirchen im Land. Wen betrifft das jetzt?
Dr. Johannes Oeldemann (Orthodoxie-Experte beim Johann-Adam Möhler Institut für Ökumenik): Das betrifft die "Orthodoxe Kirche der Ukraine". Das ist eine Kirche, die sich erst Ende 2018 gebildet hat als Zusammenschluss zweier Kirchen, die zuvor von den anderen orthodoxen Kirchen als schismatisch betrachtet worden sind und die dann aber im Januar 2019 vom Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel die Autokephalie, also die kirchliche Selbstständigkeit, verliehen bekommen hat.
DOMRADIO.DE: ... im Gegensatz zur orthodoxen Kirche, die dem Moskauer Patriarchat unterstanden hat.
Oeldemann: Genau, das ist die "Ukrainische Orthodoxe Kirche", die mit Moskau in Verbindung stand, sich aber auch bei einem Konzil im Mai 2022 von Moskau losgesagt hat aufgrund des Krieges in der Ukraine. Diese beiden orthodoxen Kirchen konkurrieren bis heute in der Ukraine miteinander.
DOMRADIO.DE: Diese neue "Orthodoxe Kirche der Ukraine" hat also ihren Kalender geändert, um die Feste mehr an Westeuropa anzupassen. Geht das überhaupt so einfach? Kann man einen kirchlichen, liturgischen Kalender von heute auf morgen einfach ändern?
Oeldemann: Also sicherlich nicht von heute auf morgen. Das ist ein Prozess, der innerhalb dieser Kirche schon länger diskutiert worden ist. Es gab im Frühjahr schon eine Bischofssynode dieser Kirche, wo man dafür votiert hat, diesen neuen Kalender einzuführen. Und jetzt ist es vom Landeskonzil, das ist das oberste Gremium dieser Kirche, offiziell bestätigt worden.
Interessanterweise knapp 14 Tage, nachdem auch das ukrainische Parlament eine entsprechende Entscheidung getroffen hat, dass Weihnachten künftig nur noch am 25. Dezember gefeiert wird und nicht mehr der 7. Januar, wie es nach dem alten Kalender der Fall gewesen wäre.
DOMRADIO.DE: Was sagt das denn über das Verhältnis von Kirche und Staat in der Ukraine?
Oeldemann: Das zeigt, dass es auch in der Ukraine ein enges Miteinander von Staat und Kirche gibt, wie es für die gesamte orthodoxe Tradition üblich ist. Man spricht von der "Symphonie" von Staat und Kirche, schon von byzantinischer Zeit her.
Das ist in gewisser Weise ein Ideal, was auch nie so ganz funktioniert hat, auch in Byzanz schon nicht. Und man sieht in Russland jetzt gerade die Kehrseite der Medaille, wo der Patriarch sehr stark den Präsidenten unterstützt im Krieg gegen die Ukraine.
Aber auch in der Ukraine ist man offensichtlich von dieser Verquickung von Staat und Kirche nicht ganz frei, wie sie schon bei der Gründung der "Orthodoxen Kirche der Ukraine" zu beobachten war und eben jetzt auch wieder im Blick auf den Kalender spürbar ist, durch diese enge Verbindung von Parlamentsbeschluss und Konzilsbeschluss.
DOMRADIO.DE: Folgt das einem Trend? Die griechisch-katholische Kirche in der Ukraine hat den gleichen Schritt schon im Februar vollzogen.
Oeldemann: Genau, die griechisch-katholische Kirche, die mit Rom verbunden ist, hat diese Entscheidung im Frühjahr getroffen. Und es folgt einem Trend, eben weil man sich von Moskau absetzen will. Denn die Russische Orthodoxe Kirche folgt nach wie vor dem Julianischen Kalender, nach dem Weihnachten zum Beispiel am 7. Januar gefeiert wird.
Zugleich gleicht man sich damit der Praxis an, wie es das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel auch macht, und führt den sogenannten "Neujulianischen" Kalender ein.
DOMRADIO.DE: Man wechselt also nicht direkt zum Gregorianischen Kalender, wie die westlichen Kirchen, sondern noch zu einem dritten. Wo ist der Unterschied? Was besagt dieser "Neujulianische Kalender"?
Oeldemann: Das bedeutet konkret, dass nur die kirchlichen Feste, die an ein Datum gebunden sind, wie eben zum Beispiel Weihnachten, am 25. Dezember parallel zum Gregorianischen Kalender gefeiert werden, während alle Feste, die vom Osterfestdatum abhängen, wie Ostern, Christi Himmelfahrt und Pfingsten nach wie vor nach dem Julianischen Kalender gefeiert werden.
Der Neujulianische Kalender ist ein Kalender, wie er auch im Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel verwendet wird und einigen anderen orthodoxen Kirchen. Dem möchte man sich hier offensichtlich angleichen.
DOMRADIO.DE: Warum übernimmt man nicht einfach den Gregorianischen Kalender?
Oeldemann: Das hat damit zu tun, dass man sich in die orthodoxe Gemeinschaft integrieren möchte. Alle Orthodoxen, bis auf ganz wenige Ausnahmen, feiern Ostern bis heute nach dem Julianischen Kalender.
Man möchte Anschluss finden an die orthodoxe Welt, an die orthodoxe Familie unter der Führung des Ökumenischen Patriarchats und orientiert sich deshalb an dessen Kalender.
DOMRADIO.DE: Was hat das denn für ökumenische Implikationen? Man könnte ja jetzt zum Beispiel Weihnachten mit den griechisch-katholischen Christen in der Ukraine feiern, obwohl das eine andere Konfession ist.
Oeldemann: Ja, das bringt natürlich diese Kirchen näher zueinander, wie auch konfessionsverschiedene Familien. Wenn zum Beispiel der Ehemann griechisch-katholisch ist, die Frau aber der "Orthodoxen Kirche der Ukraine" angehört, dann ist es für sie jetzt viel einfacher, die kirchlichen Feste gemeinsam feiern zu können.
Das ist ja auch ein Wunsch, der noch mal im Blick auf das Jahr 2025 in der Ökumene diskutiert wird. 2025 jährt sich zum 1.700. Mal das Konzil von Nicäa, 325, wo die Regel, wann man Ostern feiert, zum ersten Mal festgelegt worden ist. Und es gibt Bemühungen, wieder zu einem gemeinsamen Osterfest-Termin zu finden. Vielleicht kann das ein erster Schritt auf dem Weg dahin sein.
DOMRADIO.DE: Nun ist es die "Orthodoxe Kirche der Ukraine", die diesen Schritt gegangen ist. Wie stehen denn die Chancen, dass sich die "Ukrainische Orthodoxe Kirche", die dem Moskauer Patriarchat angehört hat, anschließt?
Oeldemann: Derzeit schätze ich das nicht so ein, vor allen Dingen, weil sie nicht nur mit Moskau übereinstimmen in der Frage des Julianischen Kalenders, sondern auch mit einigen anderen orthodoxen Kirchen wie der Serbischen Orthodoxen Kirche, die mit ihr sehr verbunden sind, sodass sich insgesamt die Frage stellen wird, wie die Orthodoxe Kirche überhaupt auf eine Neuberechnung des Oster-Termins reagieren wird.
Ich bin relativ skeptisch, ob man da zu einer gemeinsamen Regelung kommt, weil viele orthodoxe Bischöfe, aber auch viele Gläubige doch sehr traditionsbewusst sind und ungern Änderungen am Kalender vornehmen lassen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.