Ukrainischer Bischof vor der ersten Kriegsweihnacht

Zwischen Angst und Hoffnung

Die Menschen in der Ukraine stehen vor dem ersten Weihnachtsfest im Krieg. Trotzdem sei es wichtig, das Fest voller Zuversicht zu feiern, sagt Weihbischof Wolodymyr Hruza aus Lwiw. Ein Blick zurück auf ein Jahr im Ausnahmezustand.

Eine Frau zündet Kerzen in der St.-Andreas-Kirche in Kiew an. / © Mark Edward Harris (dpa)
Eine Frau zündet Kerzen in der St.-Andreas-Kirche in Kiew an. / © Mark Edward Harris ( dpa )

Dies ist ein Auszug aus der aktuellen Folge des Podcasts "Himmelklar". Das komplette Interview zum Anhören gibt es hier:

Himmelklar: Die Welt blickt seit Februar zu Ihnen in die Ukraine. Im Moment bereiten Sie sich auf ein Weihnachtsfest vor, das Ihr Land so noch nicht erlebt hat. – Wie geht es den Menschen in Ihrem Bistum im Moment?

Weihbischof Wolodymyr Hruza (privat)
Weihbischof Wolodymyr Hruza / ( privat )

Wolodymyr Hruza (griechisch-katholischer Weihbischof von Lwiw): Für das Gemeindeleben versuchen wir gerade, die Priester zu motivieren, noch mehr präsent zu sein in den Gemeinden und in den Kirchen. Während der Alarmsirenen läuft auch ein Großteil der Menschen in die Kirchen. Einige Kirchen haben schon Schutzbunker, andere sind einfach Gebäude, in denen die Leute Ruhe und Geborgenheit finden können. Wenn sie dort zusammenkommen, ist es wichtig, dass immer ein Priester für ein Gespräch da ist.

Wir müssen auch bereits jetzt daran denken, dass die Heilung der Wunden ein langer Prozess sein wird. Der Krieg wird einmal zu Ende gehen, aber jetzt beginnen wir schon daran zu arbeiten, dass diese Wunden auch geheilt werden. Das pastorale Leben läuft ganz gut. Wir haben jetzt die vorweihnachtliche Fastenzeit. In den Gemeinden gibt es Einkehrtage und Exerzitien. Die Katechese für die Kinder geht nach Planung. Im Blick auf die Jugendarbeit und die verschiedenen Arten der Seelsorge bin ich sehr zufrieden.

Himmelklar: Sie haben gerade gesagt, die Kirchen sind auch Anlaufpunkte für die Menschen. Man sagt ja im Allgemeinen immer, dass sich die Menschen in Krisenzeiten dem Glauben und der Kirche zuwenden. Nun kennen wir in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit zum Glück keine solchen Krisenzeiten, wie Sie sie im Moment erleben müssen. Merken Sie, dass die Menschen sich durch den Krieg vermehrt an die Kirche und an Sie als Seelsorger wenden?

Hruza: Ja, das merken wir ganz stark. Das ist auch meine Beobachtung. Wir gründen auch an unseren kirchlichen Einrichtungen nun Beratungszentren, wo es Gesprächsangebote für die Leute gibt, die durch den Krieg betroffen oder verletzt sind.

Wenn Menschen in ein Beratungszentrum gehen, fragen viele gleich, ob es eine christliche Einrichtung ist und ob es dort auch einen Priester gibt. Das ist wichtig für das Vertrauen. Therapie ist eine komplexe Sache. Dabei geht es um Spiritualität, es geht um Psychologie, Psychotherapie und manchmal auch leider um Psychiatrie. Das alles sollte ineinandergreifen, um die Menschen zu heilen. In eine christliche Einrichtung, das sehe ich an diesem Beispiel, haben die Menschen volles Vertrauen. Sie können sich uns da anvertrauen und offen sprechen. Wenn sie dann Beichten wollen oder generell einen Priester brauchen, wissen sie, dass alles da ist.

Weihbischof Wolodymyr Hruza aus Lwiw

"Es darf keine Routine werden, sich an Angst zu gewöhnen. Man darf sich auch nicht an Begräbnisse gewöhnen, die wir hier ständig haben."

Himmelklar: Lebt man in einem dauerhaften Zustand der Angst oder gewöhnt man sich an die Bedrohung?

Hruza: Es gibt zwei Dimensionen. Wir leben schon monatelang in einem Zustand der Angst. Es darf aber keine Routine werden, sich an Angst zu gewöhnen. Man darf sich auch nicht an Begräbnisse gewöhnen, die wir hier ständig haben. Das ist eine schmerzhafte Sache. Man darf sich nicht an den Krieg gewöhnen. Die Frage ist aber, wie ich mit dieser Angst umgehe.

Wie kanalisiere ich diese Angst? Wenn ich die Angst in mir behalte, dann kann das natürlich problematisch sein. Aber wenn ich jemanden habe, mit dem ich das teilen kann, wenn ich in die Kirche gehe und die Eucharistie empfange, dann bedeutet das zwar nicht, dass die Angst verloren geht, aber ich habe dann die Kraft, diese Angst zu überwinden.

Eigentlich ist die Frage, wie man die Angst überwindet, um weiter zu leben. In der Angstsituation ist auch die Frage, wie produktiv ich bin. Die Menschen sollen eigentlich leben und produktiv sein und diese Gesellschaft irgendwie auch gestalten.

Himmelklar: Haben Sie an irgendeinem Punkt darüber nachgedacht, ob es besser wäre, das Land zu verlassen?

Hruza: Bei mir kam das gar nicht in den Sinn. Wir haben das auch mit unseren Priestern beschlossen. Egal was geschehen möge, wir bleiben mit unseren Leuten in den Gemeinden. Das haben auch unsere Mitbrüder im Süden und Osten der Ukraine getan.

Zwei Mitbrüder der Redemptoristen in Berdjansk sind schon fast einen Monat lang in Haft. Wir wissen nichts von ihnen. Sie wurden einfach verschleppt. Wir ahnen nur, dass sie sehr viel erleiden müssen. Sie sind bei den Menschen geblieben. Sie hätten auch weglaufen können aus Sicherheitsgründen und niemand hätte etwas dagegen gesagt. Sie haben aber gesagt, wir sind bis zum Letzten bei den Leuten. Ein Priester, der frei geworden war, hat bezeugt, dass es für ihn ein Grundanliegen war, wie es eben möglich war, bei den Menschen zu sein.

Wir sind ja Seelsorger, wir sind keine Manager oder Experten für Religion. Ein Seelsorger ist ein Seelsorger. Ich hatte keine Gedanken, das Land zu verlassen. Das war unser Grund. Wir haben auch ausgemacht, wenn etwas passiert und wir kein Netz beziehungsweise keine Verbindung haben, dass in unseren Gemeinden jemand weiß, wo man ist.

Papst Franziskus hält während seines Gebets anlässlich Mariä Empfängnis inne / © Gregorio Borgia/AP (dpa)
Papst Franziskus hält während seines Gebets anlässlich Mariä Empfängnis inne / © Gregorio Borgia/AP ( dpa )

Himmelklar: Wie bewerten Sie das Verhalten von Papst Franziskus und dem Heiligen Stuhl im Krieg? Es gab ja einerseits große Gesten. Vor Kurzem hat der Papst sogar geweint, als er über die Ukraine gesprochen hat. Er spricht eigentlich fast jede Woche in der Generalaudienz oder beim Angelusgebet über die Lage in der Ukraine. Auf der anderen Seite sagen Experten, dass er sich nicht deutlich genug gegenüber Russland äußert. Es gab im Sommer kurzfristig ja die Idee, dass er nach Kiew kommen soll, was dann aber nicht stattgefunden hat. Würden Sie sich da mehr Unterstützung wünschen oder finden Sie, dass die Zeichen, die der Papst setzt, schon groß und wichtig genug sind?

Hruza: Der Papst ist auch ein Mensch und für jeden Menschen ist das auch ein Prozess, sich eine Meinung zu bilden. Ich hoffe, dass er alles macht, was er machen kann. Vielleicht erscheint auch nicht alles in den Medien. Christlich gesehen muss nicht alles in den Medien erscheinen, was man Gutes tut. Ich hoffe sehr, dass er mehr tut, als wir wissen.

Himmelklar: Würden Sie sich wünschen, dass er in die Ukraine kommt?

Hruza: Er ist immer willkommen. Wir empfangen alle, die zu uns kommen wollen. Die Kriegszeit ist allerdings eine Zeit, in der man niemanden direkt einladen kann, weil man auch eine Verantwortung hat für die Menschen, die man einlädt. Wir sehen aber, dass viele Menschen zu uns kommen und dass viele auch kommen wollen.

Kerze wurde am Friedenslicht von Bethlehem angezündet / © Harald Oppitz (KNA)
Kerze wurde am Friedenslicht von Bethlehem angezündet / © Harald Oppitz ( KNA )

Wir hatten vor ein paar Tagen eine sehr schöne Aktion mit dem Friedenslicht von Bethlehem. Der ORF aus Österreich hat dieses Licht zu uns gebracht. Das war für uns ein großes Ereignis, ein Zeichen des Lichtes in dieser ganzen Dunkelheit. Gerade in dieser Zeit gab es keinen Strom und die Kirche war dunkel und kalt. Da kamen Kinder und haben das Licht entgegengenommen. Sie sind direkt zu dieser Laterne gelaufen sind und haben sich dort gewärmt. Die Kinder haben sofort gespürt, wo die Quelle des Lichtes und der Wärme ist. Das ist nur eine kleine Geste, aber die ging vom ORF selbst aus. Sie hatten diese Initiative und sie sind zu uns gekommen. Und sie waren natürlich alle herzlich willkommen.

Himmelklar: Das bevorstehende Weihnachtsfest wird anders sein als jedes andere Weihnachtsfest, das Sie wahrscheinlich in Ihrem Leben gefeiert haben. Wie sehen die Vorbereitungen dafür aus? Wie werden die Gottesdienste und die Feierlichkeiten ablaufen?

Hruza: Wir versuchen die Menschen zu motivieren, dieses Fest würdig zu feiern. Das bedeutet nicht, dass sie gleich irgendwelche großen Geschenke kaufen und viel zum Essen haben müssen. Der Gottesdienst in der Kirche und auch der Weihnachtsschmuck sollten aber würdig sein. Die Menschen sollen wissen, dass es die Zeit des Weihnachtsfests ist. Schließlich ist das auch ein großes Ereignis in unserer Heilsgeschichte. Es geht nicht nur um ein Fest im Kalender.

Andererseits sollen die Menschen auch die Kraft dafür spüren. Es gab auch Stimmen, die sagten, es ist Krieg im Land, wir sollten lieber auf den Weihnachtsbaum und die Lichter verzichten. Aber was dann? Dann sitzen wir alle in der Dunkelheit und in der Krise. Und woher haben wir dann die Kraft, um weiter zu leben und um diese Gesellschaft zu gestalten? Deshalb soll Weihnachten nach Plan gehen. Wir werden versuchen, soweit es möglich ist, dieses Fest würdig zu feiern.

Himmelklar: Was macht Ihnen in der aktuellen Zeit und in Ihrer Situation Hoffnung?

Hruza: Mir machen die Menschen, die hier sind, Hoffnung und ihre Motivation. Man kann fromm sagen: Der christliche Glaube und so weiter machen mir Hoffnung. Aber wenn du sagst, dass die Menschen hier motivierend sind, dann ist das noch mal etwas Besonderes und hat auch einen Grund.

Gerade am 4. Dezember habe ich hier in der Nähe von Lwiw einen Grundstein für eine neue Kirche eingeweiht. Es war sehr kalt und nass, aber die Menschen sind zusammengekommen und haben gesagt: Wir wollen hier eine neue Kirche bauen. Eine neue Kirche! Das ist eine neue Siedlung, wo es keine Kirche gibt. Das ist schon ein großes Zeichen der Hoffnung, wenn in der Kriegszeit, wo alles drum herum zerstört wird, die Menschen und die Gemeinde sagen, dass sie eine neue Kirche bauen wollen.

Solche Zeichen geben auch mir Hoffnung. Wenn die Menschen hoffen, dann kann man nicht als Bischof oder Priester zu ihnen kommen und sagen: Nein, das ist nicht an der Zeit, weil es zu gefährlich ist. Also die Menschen evangelisieren mich auch.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Himmelklar: Der katholische Podcast

Kirche? Was hat die mir im 21. Jahrhundert überhaupt noch zu sagen? Viel. Schönes wie Schlechtes, Relevantes wie Banales, Lustiges und Wichtiges. Wir stellen euch jede Woche Menschen vor, die heute Kirche bewegen. Bischöfe, Politiker, Promis und Laien – Wir reden mit den Menschen aus Kirche und Gesellschaft, über die die katholische Welt spricht und fragen sie: Was bringt euch Hoffnung?

Himmelklar (DR)
Himmelklar / ( DR )
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