"Chrystos sja roshdaje", ruft der Chor am Ende seines Adventslieds in den bis auf den letzten Platz gefüllten Dom. Und aus dem Publikum kommt spontan ein "Slavimo joho" zurück. Christus wird geboren – lasst uns ihn verherrlichen! Die Kirchenbänke füllen diesmal auch viele ukrainische Zuhörer, die sich unter die Familien der Mädchen und Jungen der Kölner Dommusik gemischt haben. Denn wie immer wenige Tage vor Weihnachten geben diese unter der Leitung von Domkapellmeister Eberhard Metternich und Domkantor Oliver Sperling ein großes Adventskonzert mit mehr als 250 Mitwirkenden – auch als Dank an die Mitglieder des Förderkreises Kölner Dommusik.
Im Vorfeld hatte sich schnell über die sozialen Netzwerke verbreitet, dass die Domchöre an diesem Abend gemeinsam mit "Dudaryk", dem international bekannten Chor aus Lwiw, auftreten würden. Ein Ereignis – wie sich schon nach den ersten Takten zeigt – das unter die Haut geht und am Ende niemanden unbeteiligt lässt. Mit einem Mal ist der Krieg damit zum Greifen nah. Kinder und Jugendliche, die sonst bei jedem Alarm in die Luftschutzkeller laufen, seit fast drei Jahren keinen normalen Alltag mehr kennen und sich gerade zu Konzerten in Deutschland aufhalten – als wollten sie dieser furchtbaren Wirklichkeit mal für ein paar Tage entkommen – stehen nun auf den Stufen des Altares und singen ukrainische Advents- und Weihnachtslieder.
Trotz des Angriffskrieges setze Dudaryk seine Tätigkeit fort und wolle mit seiner Musik ein Zeichen der Hoffnung setzen, wird Chorleiter Dmytro Katsal später dazu kommentieren. Nicht wenigen Zuhörern stehen Tränen in den Augen, darunter auch Ulyana Derkach, die diese Reise für ihre Landsleute mit USAC, der Ukrainischen Hochschulgruppe an der Universität zu Köln, organisiert und die Verbindung zu Metternich hergestellt hat.
Dudaryk bringt ein Stück Heimat in den Dom
Auf den ukrainischen Zwischenruf folgt begeisterter Applaus. Denn Dudaryk, die Knaben- und Männerstimmen aus Lwiw, die auch international einen Namen haben und schon in großen Konzertsälen wie der Carnegie Hall in New York oder Notre Dame in Paris aufgetreten sind, ist nicht nur einer der renommiertesten Chöre der Ukraine überhaupt, er bringt in diesem Moment auch auf sehr berührende Weise ein Stück Heimat in Kölns Kathedrale. Die Lieder von Komponisten wie Ivan Kozytskyi, Pylyp Kozytskyi, Oleksandr Yakovchuk und Mykola Leontovych gehen zu Herzen. Es sind nur allzu vertraute Klänge für die Ukrainer, weil sie für sie unter den Tannenbaum daheim gehören und in dieser Musik die ganze Sehnsucht eines Volkes mitschwingt, das seit fast drei Jahren unbeschreiblichem Leid ausgesetzt ist.
In seiner Begrüßung hatte Domdechant Robert Kleine zuvor erklärt, dass seit vielen Jahren ukrainische Kinder in den Domchören mitsingen würden und Erzbischof Woelki noch im August im Rahmen seines Ukraine-Besuchs Station in Lwiw gemacht hatte. Von daher gelte Dudaryk an diesem Abend sein ganz besonders herzlicher Willkommensgruß. Was unter dem englischen Titel "Carol of the Bells" von Leontovych, ein ursprünglich ukrainisches Weihnachtslied, zum festen Repertoire des Mädchenchores gehöre, würden die ukrainischen Gäste nun im Original mit dem Namen "Shchedryk" präsentieren. Und auch sonst würden natürlich zum diesjährigen Programm ukrainische Advents- und Weihnachtslieder gehören. Abschließend versichert Kleine: "Wir verbinden uns im Gebet miteinander und in der Hoffnung auf einen baldigen, vor allem aber gerechten Frieden in der Ukraine."
Chöre als Kulturbotschafter
Bürgermeister Dr. Ralf Heinen würdigt zu Beginn des Konzertes den gemeinsamen Auftritt der Kölner Domchöre mit Dudaryk als ein starkes Zeichen der Solidarität mit der Ukraine. Er überbringt die Grüße von Oberbürgermeisterin Reker und betont die Wichtigkeit, über den kulturellen Austausch Brücken zueinander zu bauen. Von daher würden die Chöre nicht allein für ein kulturelles Highlight stehen, sondern als Kulturbotschafter die universelle Sprache der Musik unterstreichen. Abschließend ruft er den vielen Menschen im Dom entgegen: "Lassen Sie uns die verbindende Kraft der Musik miteinander erleben!"
Und dann reiht sich in der Tat ein Höhepunkt an den anderen. Feierlich ziehen zunächst die Domchöre in langer Prozession durch den Mittelgang ein, singen "Mache dich auf und werde licht", den berühmten Kanon der Kommunität Gnadenthal, der schon so oft einen besinnlich-feierlichen Abend in der Vorweihnachtszeit eingeläutet hat, oder das bekannte Adventslied "Maria durch ein Dornwald ging". Zwei Knaben aus dem Domchor sorgen mit einem mutigen Auftritt für einen Gänsehautmoment mit ihrem "Abendsegen" aus der Oper "Hänsel und Gretel", die Mädchen mit der Komposition von Oliver Sperling "Ein Schweigen hat die Welt erfüllt" für gebanntes Zuhören, während das weitere – wie immer sorgfältig ausgewählte – Programm schließlich nach fast zwei zutiefst anrührenden Stunden auf den Höhepunkt zusteuert: Alle drei Chöre vereinen sich zum Schluss von ihren unterschiedlichen Positionen aus zu der Mendelssohn-Motette "Hark! The Heralds-Angels sing" und erfüllen mit ihren weit über 300 strahlenden Stimmen das dicht besetzte Gotteshaus, während sichtlich bewegte Eltern ihre Handys in die Höhe halten, um später davon etwas in die hektische Zeit draußen vor den Domportalen mitzunehmen.
"Stille Nacht …" als Sehnsucht nach Frieden
Atmosphärisch lässt sich dieses Konzertereignis kaum steigern. Und doch wissen Metternich, Sperling und Katsal, dass nur ein Lied, das eigentlich in den Adventstagen noch gar nicht dran ist, dazu taugt, diese innige Euphorie emotional noch zu toppen – auch um ein letztes Mal an diesem Abend ganz leise zu werden und auf das Wesentliche zu lenken. Es ist dann der ukrainische Chorleiter, der mit verhaltener Gestik zunächst seine Knaben auf Ukrainisch "Stille Nacht …" anstimmen, die Herrenstimmen dann auf Deutsch die zweite Strophe singen lässt und schließlich noch einmal alle 300 Sängerinnen und Sänger zum Mitsingen der dritten Strophe auffordert, bis der Gesang immer mehr anschwillt und den gesamten Raum erfüllt. So klingt gemeinsames Gebet, so klingt Hoffnung auf Erlösung, so klingt die Sehnsucht nach Frieden.
Im Kölner Dom auftreten zu können gehöre zu seinen bedeutsamsten künstlerischen Erlebnissen, resümiert danach ein sichtlich glücklicher Dmytro Katsal. "Ich bin zutiefst dankbar, an diesem besonderen Ort zu stehen, von dem eine solche Kraft ausgeht und an dem eine große Chortradition gepflegt wird. Zusammen mit den Kölner Domchören zu musizieren, ist ein Geschenk." Überhaupt danke er den Deutschen für alle Hilfe und Solidarität. "Dank dieser Unterstützung leben wir noch."