Ukrainischer Jesuit ist dankbar für Gebet, Hilfe und Waffen

"Habt keine Angst!"

Der ukrainische Jesuit Mykhailo Stanchyshyn erlebt die Gräueltaten des russischen Angriffskrieges seit zwei Jahren hautnah mit. Dennoch bleibt er zuversichtlich. Im Interview rät er den Deutschen, vor Russland keine Angst zu haben.

Jesuitenpater Mykhailo Stanchyshyn, in einem traditionellen Hemd seines Heimatlandes Ukraine / © Stefan Meetschen (KNA)
Jesuitenpater Mykhailo Stanchyshyn, in einem traditionellen Hemd seines Heimatlandes Ukraine / © Stefan Meetschen ( KNA )

Der ukrainische Jesuit Mykhailo Stanchyshyn hält sich zurzeit in der Bundesrepublik auf und nimmt auch am Katholikentag teil, der am Mittwoch (29. Mai) in Erfurt beginnt. Sonst ist er in Lwiw (Lemberg) tätig. 

Zu Beginn des russischen Angriffskrieges machte er sich auf den Weg nach Charkiw, um den Menschen an der Front beizustehen. Der Katholischen Nachrichten-Agentur  erklärt er, warum Gebet, humanitäre Hilfe und Waffen kein Widerspruch sind, wenn es um Beistand für sein Heimatland geht.

KNA: Pater Mykhailo, Sie sind für ein paar Tage in Deutschland und werden auch beim Katholikentag auftreten. Was ist Ihre wichtigste Botschaft an die deutschen Zuhörerinnen und Zuhörer?

Mykhailo Stanchyshyn (Jesuit aus der Ukraine): Habt keine Angst! Habt keine Angst vor Russland und vor der russischen Armee. Vor dem russischen Militär.

KNA: Das sind starke Worte angesichts der Gräueltaten, die die russische Armee in Ihrem Heimatland angerichtet hat und weiter anrichtet.

Stanchyshyn: Sie haben grausame Taten verübt und unsägliches Leid über unschuldige Menschen in meinem Heimatland gebracht. Über Soldaten, Frauen, Kinder, Alte. Und sie tun dies weiter, täglich. Mich hätte es auch fast getroffen, wenn nicht ein Auto schützend im Weg gestanden hätte, als kaum 20 Meter von mir eine Rakete einschlug. 

Mykhailo Stanchyshyn

"Putin spekuliert auf unsere Ängste und die Ängste des Westens."

Doch Angst ist kein guter Ratgeber, und Putin spekuliert auf unsere Ängste und die Ängste des Westens. Den Gefallen dürfen wir ihm nicht tun. Neulich hat die Ministerpräsidentin Estlands, Kaja Kallas, in einem Interview zugegeben, dass Europa zu viel Angst vor Russland hatte, und dass das ein Fehler war. Ich stimme ihr 100-prozentig zu.

KNA: Aber können Sie verstehen, dass manche Deutsche und auch der Papst in Rom Angst haben vor einer Eskalation des Krieges, in den auch die Nato noch stärker mit hineingezogen wird und der Krieg sich dann zu einem noch größeren Flächenbrand entwickelt?

Stanchyshyn: Im Evangelium, im ersten Johannesbrief, lesen wir: Wo Angst ist, da ist keine Liebe. Das klingt hart, vielleicht auch idealistisch - aber das ist eine tiefe psychologische Wahrheit. Angst ist kein gutes Fundament für rationales Verhalten, sei es in der Politik oder sonstwo.

KNA: Aber die Sehnsucht nach Frieden verstehen Sie...

Stanchyshyn: Denken Sie, die Menschen in der Ukraine haben keine Sehnsucht nach Frieden? Natürlich! Ich bin nur skeptisch, wenn es um die Haltung des Pazifismus geht, die in manchen Kreisen in der Bundesrepublik ausgesprochen populär ist. Dieser Pazifismus ist nicht nur bequem, sondern auch ein Phänomen der Angst. Er blendet aus Furcht die Realität und die Wahrheit aus.

KNA: Wie können furchtlose Christen in Deutschland Ihrem Land am besten helfen?  

Stanchyshyn: Durch Gebet und Solidarität. 

KNA: Solidarität schließt humanitäre Hilfe und Waffen mit ein? 

Mykhailo Stanchyshyn

"Es kommt jetzt auch auf militärische Waffen an."

Stanchyshyn: Ganz genau. Das kann man nicht ignorieren oder schönreden. Wir brauchen in dieser Situation dringend Gebete als geistliche Waffen und als Zeichen der Solidarität, dass wir nicht allein sind. Nicht allein das Kreuz tragen, was wir tun. 

Doch es kommt jetzt auch auf militärische Waffen an; denn wir haben das Recht, unsere Existenz zu verteidigen. Wir haben als Volk das Recht, den Feind zu stoppen. Auch militärisch. Gegen einen Feind, der kommt, um unsere Frauen, unsere Kinder, unsere Landsleute zu töten, hat der Staat das Recht und die Pflicht, seine Bürger zu verteidigen. Wenn wir uns nicht von Anfang an gewehrt hätten, gäbe es die Ukraine nicht mehr.

KNA: Sie glauben weiter an den Sieg der Ukraine - trotz vieler Verluste?

Mykhailo Stanchyshyn

"Die Zukunft der Ukraine ist demokratisch und liegt in Europa."

Stanchyshyn: Ich glaube fest daran. Nicht nur, weil Putins Plan, die ukrainische Kultur und Sprache auszulöschen, das Gegenteil bewirkt hat. Ich bin auch deshalb überzeugt, weil ich an Gerechtigkeit glaube. Es wird eines Tages einen gerechten Frieden geben - und es wird eine Versöhnung geben, die diesen Ausdruck verdient. 

Aber es wird auch einen Kriegsverbrecherprozess a la Nürnberg geben, bei dem die Schergen des russischen Totalitarismus verurteilt werden. Die Zukunft der Ukraine ist demokratisch und liegt in Europa.

Das Interview führte Stefan Meetschen (KNA).

Christliche Kirchen in der Ukraine

Die kirchlichen Verhältnisse in der Ukraine sind komplex. Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU). Zudem gibt es eine römisch-katholische Minderheit mit rund einer Million Mitgliedern sowie die mit Rom verbundene (unierte) griechisch-katholische Kirche der Ukraine.

Das Heilige Feuer aus Jerusalem am 18. April 2020 im Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats. / © Sergey Korovayny (KNA)
Das Heilige Feuer aus Jerusalem am 18. April 2020 im Kiewer Höhlenkloster Petscherska Lawra, Hauptsitz der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats. / © Sergey Korovayny ( KNA )
Quelle:
KNA