"'Schöne' Bescherung für die Kirchen", titelte das Erfurter Markt- und Sozialforschungsinstitut Insa-Consulere vor knapp zwei Wochen: Nur noch jeder Vierte wolle Heiligabend in die Christmette gehen. In früheren Jahren - die aber nicht spezifiziert werden - seien es zwei Drittel gewesen. Am ehesten planten Menschen zwischen 18 und 29 Jahren (41 Prozent) sowie 30 bis 39 Jahre (46 Prozent) den Besuch eines Weihnachtsgottesdienstes.
Sinkendes Interesse
Gründe für den Besuch - etwa die Krippenfeier mit Kleinkindern - fragte Insa nicht ab. Wohl aber Gründe, nicht zur Kirche zu gehen. 58 Prozent der Befragten gaben "weniger Interesse" an. Bei 12 Prozent sind es fehlende Begleitpersonen, die nicht mehr mitkommen können oder wollen. 8 Prozent planen andere Freizeitaktivitäten.
Jeder zwanzigste kann beruflich nicht, oder die Gottesdienste sind ihm zu politisch. Jeder zehnte feiert Weihnachten gar nicht (darunter natürlich viele Andersgläubige). Die Zahlen stammen aus einer Online-Befragung Ende November, an der 2.007 Personen über 18 Jahre teilnahmen.
Noch schlechter schneidet der weihnachtliche Kirchgang in der jährlichen Weihnachtsstudie der Universität der Bundeswehr in München ab. Dieser zufolge planen nur noch 14 Prozent der Deutschen in diesem Jahr einen Kirchenbesuch zu Weihnachten. 2019, vor der Pandemie, waren es noch 24 Prozent; 2022 ging die Zahl bereits auf 15 Prozent zurück.
Gelassenere Feiertage
Die gute Nachricht in der schlechten: Weihnachtsgottesdienste würden vor allem von jungen Menschen besucht, was sich mit der Insa-Umfrage deckt. Außerdem gingen vor allem "Menschen mit einem Grundoptimismus" in die Kirche, so der für die Erhebung verantwortliche Professor Philipp Rauschnabel. Man könnte auch sagen: Auf den zweiten Blick zeigt die Studie eine Entwicklung zum "Weniger ist mehr".
"Vieles entwickelt sich zum Positiven, gerade wenn die Erwartungen niedrig sind", erklärte Rauschnabel. Rund die Hälfte der Menschen nähmen sich in der "neuen Normalität" nach der Pandemie mehr Zeit für sich und ihre Liebsten. Sie hätten weniger Verpflichtungen (38 Prozent) und gingen die Feiertage gelassener und entspannter an.
"Diese Personengruppe hat Weihnachten ein Stück weit entmaterialisiert und entschleunigt", so der Ökonom. Was sich danach anhört, als beherzigten sie die viele Jahre wieder geäußerten Weihnachtsappelle von Predigern und Politikern.
Junge Menschen glauben mehr
Für die Münchner Studie wurden wie in den vergangenen Jahren über 1.200 Probanden über ein sogenanntes Online Access Panel befragt - über eine Adressdatenbank von Personen, die bereit sind, regelmäßig an Online-Befragungen teilzunehmen. Die Befragung, repräsentativ quotiert nach Alter, Geschlecht und Herkunft, fand vom 30. November bis 4. Dezember statt.
Das Insa-Institut hatte zudem bereits Mitte November gefragt: "Gibt es Ihrer Meinung nach einen Gott?" 43 Prozent sind sich sicher oder eher sicher, dass er existiert. Dass es Gott nicht oder eher nicht gibt, denken fast genauso viele Menschen (40 Prozent). 15 Prozent gaben an, es schlicht nicht zu wissen. Wie beim Besuch des Weihnachtsgottesdienstes antworteten vor allem junge Menschen mit Ja, mit Nein vor allem die 50- bis 70-Jährigen.
Die meisten Gottgläubigen verzeichnete die Umfrage unter Muslimen (87 Prozent), sonstigen Religionen (77 Prozent) und freikirchlichen Christen (76 Prozent). Nur gut die Hälfte der Katholiken (57 Prozent) und landeskirchlichen Protestanten (55 Prozent) bejahten die Frage.
Viele Gründe für den Glauben
Als Gründe für ihren Glauben gab jeweils jeder Zweite an: "der Blick auf Natur, den Menschen und alles Leben" oder "eigenes Nachdenken über das Leben". Es folgen für jeden Dritten persönliche Erfahrungen und für jeden Fünften die Familientradition oder Begegnungen mit anderen Menschen. Für immerhin jeden Siebten legt die Wissenschaft den Glauben an einen Gott nahe.
In der Insa-Befragung zeigt sich ein Unterschied zwischen Katholiken und Protestanten, den zuvor schon die methodisch wesentlich gründlichere Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) ergeben hatte: Für den Glauben von Katholiken spielt die Familientradition eine wesentlich größere Rolle (27 Prozent) als für Protestanten (17 Prozent) oder auch Muslime (20 Prozent).
Familieneinflüsse
Die diesjährige KMU, bei der erstmals Katholiken befragt wurden, ermöglichte damit einen Vergleich konfessioneller Profile. Ein Ergebnis: Den stärksten Einfluss auf die religiöse Entwicklung hat für Protestanten die eigene Konfirmation (70 Prozent). Die meisten Katholiken (73 Prozent) nennen hingegen die eigene Mutter; unter Protestanten tun dies nur 64 Prozent.
Die familiäre Prägung der eigenen Religiosität scheint denn auch einer der größten Unterschiede zwischen Angehörigen der beiden großen Konfessionen zu sein. Ansonsten haben sich ihre religiösen Überzeugungen, Werteorientierungen und sozialen Engagements vielfach fast völlig angeglichen. Beim Gottesdienstbesuch - mehr als einmal jährlich - beträgt der konfessionelle Unterschied noch sieben Prozentpunkte (42 zu 35 Prozent), vor 20 Jahren waren es noch 20 Prozentpunkte.
Besonders verbunden sind katholische wie evangelische Christen, wenn überhaupt, noch ihrer Kirchengemeinde. Für Katholiken sind ein wichtiger Bezugspunkt nach wie vor kirchliche Verbände wie Frauengemeinschaft, Kolping, BDKJ oder Caritasverband.
Kaum Nähe zum Papst
Zum Papst - auch wenn er Franziskus heißt - verspüren deutsche Katholiken kaum eine besondere Nähe. Die Einbettung in eine Weltkirche - wie auch immer diese verstanden wird - ist für etwa jeden zehnten Protestanten wie Katholiken wichtig.
"Sind Katholiken nun im Saldo evangelischer geworden oder Protestanten katholischer?", fragt Thomas Jansen in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die Ergebnisse der Untersuchung legten die "Antwort nahe: Es wäre anachronistisch, diese Frage überhaupt zu stellen."
Gleichwohl stecken in der KMU vor allem für die katholische Kirche mehr Ambivalenzen als bisher angemerkt. Darauf weist Tobias Kläden, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Studie, in einem Beitrag für das Portal feinschwarz.net hin. Klar, einerseits wirkten die lange bekannten Prozesse der Entkirchlichung "in gestiegener Härte" weiter: Erosion bei Gottesdienstteilnahme, Verbundenheit mit der Kirche, Vertrauen besonders in die katholische Kirche oder die stark gestiegene Neigung zum Kirchenaustritt.
Kirchen bleiben wichtig
Darüber hinaus gehe Religiosität allgemein zurück. "Nach den empirischen Daten der KMU 6 kann Religiosität jedenfalls nicht als anthropologische Konstante angesehen werden", so der Referent für Evangelisierung und Gesellschaft bei der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral der Bischofskonferenz in Erfurt. Andererseits belegten die Befunde der KMU, "dass die massiv schrumpfenden Kirchen dennoch ein wichtiger Faktor in der Gesellschaft bleiben".
Statt Gleichgültigkeit würden den Kirchen hohe Erwartungen entgegengebracht. Besonders Katholiken äußerten "mit überdeutlichen Mehrheiten Reformerwartungen an ihre Kirche; die Anliegen des Synodalen Wegs können sich also durchaus gestärkt sehen", stellt Kläden fest.
Zwar sinkt laut KMU die religiöse Reichweite der Kirchen, nicht aber ihre sozial-gesellschaftliche Reichweite. Wichtige Stichworte dazu lauten: freiwilliges, auch außerkirchliches Engagement durch Christen, Vertrauen in Institutionen und Mitmenschen und damit eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Ähnlich deutet der frühere McKinsey-Berater Thomas von Mitschke-Collande die Studie. Die Kirchen seien aufgerufen, das Evangelium neu zu buchstabieren. Die aktuellen Reformdebatten um Frauen in der Kirche, Umgang mit Sexualität und Macht seien wichtig. "Am Ende aber werden diese die Kirchen nicht wirklich retten", sagte er der KNA. Die große Herausforderung bestehe darin, den Menschen zu zeigen, wie ihnen die christliche Botschaft helfen könne, ihr Leben zu gestalten und die Gesellschaft sozial und human zu gestalten.