Der Streit um einen bundesweiten Tarifvertrag in der Altenpflege spitzt sich zu. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) übt massive Kritik an Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Und das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft attackiert die Rolle der kirchlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas.
Bereits im Koalitionsvertrag hatte sich die Bundesregierung auf einen bundesweiten Tarifvertrag festgelegt, um die Arbeitsplätze im Bereich der Altenpflege attraktiver zu machen. Dieser Vertrag rückt nun näher: Ende Januar einigten sich die Gewerkschaft Verdi und die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP), ein Zusammenschluss aus dem eher linken- und gewerkschaftsnahen Spektrum, auf einen Vertrag über Mindestbedingungen in der Altenpflege.
Tarifvertrag oder Tarifautonomie?
Vorgesehen sind deutliche Steigerungen der Einkommen in vier Schritten. Unter anderem soll bis zum 1. Juli 2023 der Pflegemindestlohn um 25 Prozent erhöht werden. Dieser Tarifvertrag soll am 1. August vom Bundesarbeitsministerium auf alle Pflegekräfte ausgedehnt werden. Kein Anbieter in Deutschland dürfte dann geringere Löhne zahlen. Vor diesem Schritt sollen aber erst noch die kirchlichen Anbieter Diakonie und Caritas zustimmen.
Zwar unterliegen sie einem kirchen-eigenen Tarifrecht. Sie sollen aber einbezogen werden, um den Flächentarifvertrag repräsentativer zu machen. BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter kritisierte vergangene Woche insbesondere das Vorgehen des Bundesarbeitsministers. Dass Heil immer wieder auf einen Tarifvertrag poche, gehöre sich nicht und komme "Zwang und Nötigung" in der Tarifpolitik schon sehr nahe. In Deutschland gelte die Tarifautonomie.
Heil schrieb daraufhin auf Twitter an die Adresse der BDA, die Arbeitgeber sollten im Bereich der Altenpflege das vom Bundestag beschlossene Pflegelöhneverbesserungsgesetz kennen. "Ich habe nur eine grundsätzliche Frage an Sie: Wollen Sie bessere Löhne und Arbeitsbedingungen in der Altenpflege oder nicht?" Die Gewerkschaft Verdi kommentierte auf Twitter, die Arbeitsbedingungen in der Pflege seien skandalös, weil die Arbeitgeber ihren Profit maximieren wollten. "Gute Arbeit & faire Löhne sind für verantwortungsvolle Sozialpartner selbstverständlich."
Brüderle kündigt rechtliche Schritte an
Gegen den Flächentarifvertrag gibt es heftigen Gegenwind: Der bereits 2009 gegründete Arbeitgeberverband Pflege (AGVP), in dem die umsatzstärksten Anbieter zusammengeschlossen sind, und der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) weigern sich, darüber zu verhandeln. Ein Flächentarifvertrag ruiniere den Wettbewerb und zerstöre das Bemühen um Kosteneffizienz, argumentiert der AGVP. Er plädiert zwar für höhere Löhne, will aber bessere Standards nur über die bereits bestehende Pflege-Mindestlohnkommission setzen. Sie habe sich bewährt und in den vergangenen zehn Jahren gute Ergebnisse geliefert. Die Kommission von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hatte im vergangenen Jahr erstmals drei nach Qualifikation unterscheidende Mindestlöhne beschlossen. Ab dem 1. Juli 2021 bekommen Pflegefachkräfte demnach mindestens 15 Euro in der Stunde.
bpa-Präsident Rainer Brüderle spricht dem neuen Arbeitgeberverband jede Wirkung ab: Es handele sich um eine Initiative von "Nischenanbietern" und "Kleinstverbänden", die nicht für die Branche sprechen könnten. Er verwies darauf, dass die Privaten mehr als 50 Prozent der Heime in Deutschland betrieben. Auf der anderen Seite sei Verdi unter den Pflegekräften sehr schlecht vertreten.
Brüderle kündigte bereits mehrfach rechtliche Schritte an. "Ob ein Arbeitsgericht, geschweige denn das Bundesverfassungsgericht, eine Allgemeinverbindlicherklärung eines von diesem Miniverband mit einer Minigewerkschaft in der Altenpflege abgeschlossenen Tarifvertrag anerkennt, ist aus unserer Sicht mehr als zweifelhaft", erklärt er.
Caritas und Diakonie beraten über Erklärung
In dieser Woche wollen auch die arbeitsrechtlichen Kommissionen von Diakonie und Caritas darüber beraten, ob sie der Allgemeinverbindlichkeitserklärung für den Tarifvertrag zustimmen - ohne ihn anwenden zu müssen, da sie höher vergüten. Sie stehen für rund 30 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege.
Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) übte vergangene Woche deutliche Kritik an der Rolle der kirchlichen Wohlfahrtsverbände. "Einerseits profitieren die Kirchen von ihrer tarifrechtlichen Sonderstellung. Da sie nicht direkt mit den Gewerkschaften verhandeln müssen, können sie auch nicht Ziel eines Arbeitskampfes werden", hieß es im Informationsdienst des Instituts.
Andererseits wollten sie aber Einfluss auf die regulären tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen nehmen und dienten dabei als umstrittener Mehrheitsbeschaffer. "Sollten die Kirchen dem neuen Tarifvertrag zustimmen, wäre ihre rechtliche Sonderstellung gefährdet. Die derzeitige tarifrechtliche Privilegierung wäre eigentlich nicht länger zu rechtfertigen."