DOMRADIO.DE: Waren Sie am Freitag auch bei den globalen Klimastreiks dabei?
Christian Weingarten (Umweltbeauftragter des Erzbistums Köln): Ich war selbst nicht bei der Demo in Köln, weil ich zur gleichen Zeit beim Kölner Moscheeverband war und dort über die interreligiöse Aufgabe der Schöpfungsverantwortung diskutiert habe.
Ich finde es wichtig, Menschen mitzunehmen, die noch nicht so sehr mit dem Thema in Berührung gekommen sind wie zum Beispiel die Menschen, die auf der Demo waren.
DOMRADIO.DE: Deutschlandweit hat es am Freitag viele Demos gegeben. Dabei wurden aber weniger Teilnehmer gezählt. Haben Sie den Eindruck, dass sich der anfängliche Enthusiasmus abgekühlt hat?
Weingarten: Jein. Am Anfang war es wahrscheinlich noch ein großer Hype, der viele Menschen auf die Straßen gezogen hat. Die Veranstalter sprechen in diesem Jahr von 250.000 Teilnehmenden in ganz Deutschland bei über 250 Demonstrationen.
Ich finde es beeindruckend, dass nach fünf Jahren immer noch so viele auf die Straße gehen. Wahrscheinlich waren es mal mehr Teilnehmende, aber die Kraft, die diese Bewegung ausmacht, ist nicht verloren gegangen.
DOMRADIO.DE: Greta Thunberg wollte die Erwachsenen angesichts des voranschreitenden Klimawandels in Panik versetzen. So richtig hat das nicht geklappt. Was ist Ihr Fazit nach fünf Jahren? Was hat "Fridays for Future" gebracht?
Weingarten: Es hat die Thematik des Klimaschutzes in die Mitte der Gesellschaft gebracht. Man kann im Freundeskreis und in der Familie ganz anders darüber diskutieren.
Vor fünf Jahren fanden die Demonstrationen im Hambacher Forst statt, da herrschte eine andere Stimmung. Da musste man erst mal klären, was Klimaschutz ist und welche Faktenlage stimmt. Darüber muss man heutzutage nicht mehr diskutieren. Stattdessen wird zum Glück viel mehr über Lösungen diskutiert.
Auch wenn die Diskussionen im Moment sehr aufgeladen sind, hat es "Fridays for Future" geschafft, dass der menschengemachte Klimawandel als Fakt in Deutschland anerkannt ist.
DOMRADIO.DE: Wie geht es jetzt weiter? Was bewirkt "Fridays for Future" jetzt noch?
Weingarten: Zum einen halten sie das Thema wach. Ich finde es beeindruckend, das sich aus "Fridays for Future" auch viele Untergruppierungen gebildet haben, wie "Architects for Future" oder die "Ärzte for Future", die für ihren Fachbereich eigene Lösungen entwickeln.
Das wird übersehen, wenn man nur auf die Demonstrationen guckt. Ich glaube, da geht es weiter. Diese Lösungen werden an die Politik herangetragen und können auch umgesetzt werden.
DOMRADIO.DE: Wie ist das Ganze an die Kirchen herangetragen worden? Was haben sie von "Fridays for Future" gelernt und welche christlichen Untergruppierungen gibt es?
Weingarten: Auch wir Kirchen sind durch "Fridays for Future" aufgeweckt worden. Wir hatten zwar die Enzyklika "Laudato si" von 2015, das Umweltschreiben von Papst Franziskus, aber das hat uns nicht so einen Ruck gegeben. Die Demonstration, bei denen auch Schüler von katholischen und christlichen Schulen für Schöpfungsverantwortung demonstrieren, haben den Kirchen gezeigt, dass wir unsere eigene Verantwortung nicht wirklich wahrnehmen.
Es gibt die christlichen Untergruppierungen "Churches for Future" und "Christians for Future", die darauf aufmerksam machen, dass die Kirche eine besondere Verantwortung beim Thema Klima- und Umweltschutz hat. Christen geht es nicht nur darum, irgendwelche Pflanzen zu retten, sondern die Schöpfung zu bewahren. Das ist eine deutlich größere Motivation, für die sich diese christlichen Untergruppierungen stark machen.
DOMRADIO.DE: Ein kleiner gedanklicher Schlenker zu einer radikaleren Klimabewegung. "Die letzte Generation" schreibt gerade wieder Schlagzeilen. Gestern haben sie das Brandenburger Tor angesprüht, heute blockieren sie wieder Straßen in Berlin. Finden Sie, dass das auch ein gangbarer Weg ist?
Weingarten: Angesichts der dramatischen Bilder aus Griechenland und Libyen, wo der Klimawandel einschlägt, brauchen wir ganz viele Aktionsmechanismen, um den Menschen den Ernst der Lage zu vermitteln.
Jeder in Deutschland hat die Möglichkeit, seinen Beitrag zu leisten, um Politik und Gesellschaft klarzumachen, dass wir ein großes Klima-Problem haben.
Wir müssen schnellstmöglich etwas verändern. Dazu sollten viele Zeichen gesetzt werden. Solange sie gewaltfrei sind, stehe ich dahinter. Wir müssen diese Panik rüberbringen. Das haben wir in der Umweltbewegung bisher nicht geschafft.
Das Interview führt Hilde Regeniter.