DOMRADIO.DE: Der Supermarkt "Penny" beziehungsweise der Mutterkonzern "Rewe" will mit dem "wahren Preis" mehr Bewusstsein für die Umweltbelastung durch die Lebensmittelproduktion schaffen. Erschrecken Sie die Preise oder haben Sie mit so was gerechnet, wenn man weiß, was da alles draufgerechnet wird?
Christian Weingarten (Umweltbeauftragter des Erzbistums Köln): Ich bin nicht überrascht. Ich habe damit gerechnet, weil ich mich schon viel mit dem "wahren Preis" von Lebensmitteln und auch mit der Frage, was eigentlich ökologischer Landbau bringt, beschäftige.
Da gibt es viele Studien, die zeigen, dass wir durch den günstigen Einkauf – insbesondere von Fleisch – eigentlich ganz viele Kosten gar nicht bezahlen, die aber unsere Gesellschaft trägt.
DOMRADIO.DE: Wie kommt denn der neue Preis jetzt zustande? Welche Faktoren sehen wir sonst nicht, die hier berechnet worden sind?
Weingarten: Das sind zum Beispiel Wasserkosten in der Landwirtschaft. Wenn zu viel Dünger, wie Nitrat in Boden gegeben wird, muss das Wasser besser gereinigt werden. Die Kosten zahlt man normalerweise nicht im Supermarkt. Das wird vielmehr über Steuermittel und dann letztendlich von den Wasserwerken bezahlt. Das sind Kosten, die nicht direkt von dem Einkäufer bezahlt werden, sondern letztendlich von jedem, der in Deutschland lebt.
Dazu kommt der Naturschutz oder der Verlust der Artenvielfalt, durch Schäden aufgrund von Pflanzenschutz, was man oftmals gar nicht monetär betrachten kann. Aber das alles verursacht Kosten, die in Zukunft vor allem auf kommende Generationen zukommen werden. Diese Kosten sind bei den Lebensmittelpreisen jetzt mit eingerechnet.
DOMRADIO.DE: Interessant ist ja, dass sich die Preissteigerungen ziemlich unterscheiden: Die Packung Maasdamer Käse wird diese Woche um 94 Prozent teurer, die Wiener Würstchen um 88 Prozent, das vegane Schnitzel nur um 5 Prozent. Was zeigt das genau?
Weingarten: Das zeigt den großen Konflikt zu tierischen Produkten. Ich will nicht sagen, wir dürfen gar keine tierischen Produkte mehr essen, aber wir müssen unseren Konsum von tierischen Produkten massiv reduzieren. Es gibt eine Art und Weise Tiere zu halten, die gut für Klima und Artenvielfalt ist. So wie wir im Moment Tiere in Deutschland halten, schaden wir Boden und Wasser. Das führt zu diesen hohen Kosten.
Im Vergleich zu dem veganen Schnitzel sieht man, dass eine Ernährungsweise mit sehr wenigen tierischen Produkten besser für das Klima und für die Umwelt ist. Im Vergleich mit Brot wäre der Unterschied vielleicht noch größer.
DOMRADIO.DE: Insgesamt geht es nur um neun Produkte, die eine Woche lang einen angepassten Preis haben. Es wird wohl kaum jemand gezwungen sein, diese neuen Preise in dieser einen Woche zu bezahlen. Glauben Sie, dass die Aktion trotzdem etwas bringt?
Weingarten: Ja, ich glaube, wenn wir immer wieder kommunizieren, was die Klima- und Umweltkrise verursacht, haben die Menschen es bald verstanden.
Gerade im Bereich Discounter werden noch viel mehr Menschen erreicht, als zum Beispiel in Schichten, die schon vorher ökologisch interessiert waren. Ich finde es toll, dass das beim Discounter gemacht wird, wo alle einkaufen gehen und da mal einen Blick bekommen können, was es eigentlich heißt, zum Beispiel Fleisch zu kaufen.
DOMRADIO.DE: Mal angenommen, man würde für eine Woche alle Produkte in allen Supermärkten zum "wahren Preis" verkaufen: Was könnten die Verbraucher dann neben dem veganen Schnitzel noch zum relativ kleinen Preis kaufen?
Weingarten: Ich glaube, die Menschen würden dann mehr Gemüse und weniger Fertigprodukte kaufen. Es würde eine stärkere Ernährung mit Gemüse und Obst und mit weniger Fleisch geben. Vielleicht würde dadurch das Fleisch wieder wertvoller.
Im Moment essen wir viel zu viel Fleisch. Wenn es den Festtagsbraten wieder nur an Ostern oder Weihnachten gibt, dann ist unser Bewusstsein für das Lebensmittel wieder viel stärker.
Wir werden unseren Ernährungsstil verändern müssen. Das sieht man an diesen Kosten. Ich hoffe, die Veränderung kommt schnell und wird durch solche Aktionen bestärkt.
Das Interview führte Michelle Olion.