Der neue UN-Generalsekretär setzte ein starkes Zeichen: An seinem ersten Tag im Amt richtete António Guterres einen Friedensappell an die ganze Welt. "An diesem Neujahrstag möchte ich Sie alle bitten, mit mir einen gemeinsamen Neujahrsvorsatz zu fassen: Lassen Sie uns den Entschluss fassen, den Frieden an erste Stelle zu setzen", erklärte Guterres angesichts von Konflikten wie in Syrien, im Südsudan und in der Ukraine. "Lassen Sie uns 2017 zu einem Jahr für den Frieden machen."
Peacekeeping is an investment in peace, security & prosperity to fulfil our responsibility to the people we serve. https://t.co/hqrQD8pqCE pic.twitter.com/kJvmymunVG
— António Guterres (@antonioguterres) 6. April 2017
Der neunte UN-Generalsekretär legte einen guten Start hin. Viele Mitarbeiter der Vereinten Nationen hofften, der 67-Jährige werde nach seinem bedächtigen und blassen Vorgänger Ban Ki Moon für neuen Schwung sorgen. "Der richtige Mann zur richtigen Zeit", jubelte die UN-Mitarbeiterzeitung "UN-Special" zu Beginn von Guterres' fünfjähriger Amtszeit. Und Diplomaten sagten voraus, Guterres, der frühere Premierminister Portugals und Ex-UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, werde mächtigen UN-Mitgliedern wie den USA die Stirn bieten.
Kritik an Amtsführung
Am 10. April ist Guterres 100 Tage in dem Amt, das der erste UN-Generalsekretär Trygve Lie als den "unmöglichsten Job" der Welt bezeichnete. Doch seit seinem Friedensappell am 1. Januar hat er keine aufrüttelnden Auftritte mehr hingelegt. Der als gewiefter Politfuchs geltende Guterres blieb weitgehend in Deckung. Es scheint, als meide er bewusst die Schlagzeilen.
Als UN-Generalsekretär verfügt er über keine eigentliche politische Macht. Er muss als oberster UN-Beamter den schwerfälligen Apparat der Weltorganisation führen, er muss die Interessen aller 193 UN-Mitglieder berücksichtigen, und er muss in allen großen internationalen Themen verhandlungsfest sein: vom Kampf gegen Hunger, Armut und Klimawandel über das entschlossene Auftreten gegen Folter und Unterdrückung bis hin zur Lösung der vielen kriegerischen Konflikte.
Doch gerade bei der wichtigsten Herausforderung für die UN, der Schaffung von Frieden, konnte Guterres bislang nicht punkten. Beispiel Syrien: Guterres hatte kurz vor seinem Amtsantritt versprochen, sich bei der Lösung von Konflikten "persönlich zu engagieren". Doch als UN-Generalsekretär überlässt er die Syrien-Gespräche weiter seinem überforderten Sondergesandten Staffan de Mistura. Der Bürgerkrieg, den Guterres selbst bereits 2013 als "die Tragödie des Jahrhunderts" bezeichnete, tobt weiter. Am Dienstag äußerte er sich immerhin entrüstet über Berichte über einen neuen Giftgas-Einsatz in Syrien.
Härterer Kurs gegen die USA gefordert
Auch traut sich Guterres gegenüber den USA nicht viel. Seit Donald Trump US-Präsident ist, gehen die Amerikaner auf Konfrontationskurs gegenüber den Vereinten Nationen und ihren Prinzipien. Guterres reagierte indes verhalten auf die angekündigten drastischen Kürzungen von US-Beiträgen für das UN-Budget, immerhin bestreitet Washington 22 Prozent des UN-Haushaltes und ist somit größter Zahlmeister. Er sei bereit, mit den Amerikanern über alle Budgetfragen zu diskutieren, ließ Guterres über einen Sprecher verlauten.
Und Trump diskriminiert mit seinem Einreiseverbot für Menschen aus bestimmten muslimischen Ländern ganze Völker. Und der US-Aufnahmestopp für syrische Flüchtlinge verstößt gegen das Völkerrecht. Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" verlangte denn auch: "Guterres muss eine klare Position einnehmen." Doch er zögerte, scheute vor offener Kritik zurück. Nach mehreren Tagen schließlich sagte er über die US-Politik: "Ich hoffe sehr, dass die getroffenen Maßnahmen nur temporär sind."
Verständnis für Guterres
Doch enge Mitarbeiter zeigen auch Verständnis für Guterres. "Die UN sind nun einmal finanziell von keinem Land abhängiger als von den USA", erklärt eine UN-Funktionärin. "Da muss sich Guterres gut überlegen, ob er Trump offen attackiert oder ob er versucht, auf diplomatischem Weg Trumps Politik etwas erträglicher zu machen."
Andere UN-Funktionäre wie der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Seid Ra'ad al Hussein, prangerten Trumps Abschottungspolitik dagegen öffentlich als "engherzig" und "unrechtmäßig" an. Auch der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, äußerte sich betroffen: Die abgewiesenen "Flüchtlinge sind verängstigt, orientierungslos, und ihre Herzen sind gebrochen."
Jan Dirk Herbermann