Unicef-Jahresbericht 2017

Bei Digitalisierung abgehängt

Digitalisierung bedeutet für Kinder weltweit nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Das Kinderhilfswerk Unicef warnt in seinem aktuellen Jahresbericht vor einer "digitalen Kluft" und zunehmender Ungleichheit. 

Digitalisierung ist Thema des Katholischen Medienkongress 2017 / ©  Franz-Peter Tschauner (dpa)
Digitalisierung ist Thema des Katholischen Medienkongress 2017 / © Franz-Peter Tschauner ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie sprechen in ihrem Jahresbericht von Informationsarmut. Wenn ich keine Nahrung habe, hungere ich. Das ist lebensbedrohlich. Das kann vielleicht jeder noch nachvollziehen. Information ist da schwerer greifbar. Was ist also Informationsarmut? 

Rudi Tarneden (Pressesprecher des Kinderhilfswerks Unicef): Auch Informationsamrut kann lebensgefährlich sein. Wenn Sie sich in einem Gebiet aufhalten, in dem zum Beispiel eine Naturkatastrophe droht weil die Flüsse steigen oderwo es bewaffnete Konflikte gibt, dann sind Informationen, wohin ich mich in Sicherheit bringen kann, zentral. Wichtig ist auch, zu wissen, wie ich mich vor bestimmten ansteckenden Krankheiten schützen kann. Und es ist Informationsarmut, die darüber entscheidet, ob ich weiß, wo ich Jobs finden kann. Das sind einige Beispiele, die für Kinder und Jugendliche in den Entwicklungs- und Schwellenländern immer wichtiger werden. 

DOMRADIO.DE: Wie kam es, dass das Thema jetzt 2017 in den Fokus gerückt ist?

Tarneden: Für Unicef weltweit ist ganz klar, dass die Digitaliierung die Kindheit auf der ganzen Welt verändert. Nicht nur hier bei uns in den wohlhabenden Gesellschaften, wo Smartphones ja mittlerweile im Grundschulalter schon sehr verbreitet sind, sondern auch in den ärmsten Ländern der Welt.

Es gibt im Grunde genommen zwei Arten von Klüften, die wir beklagen: Das eine ist, dass immer noch jedes dritte Kind und jeder dritte Jugendliche weltweit vom Zugang zur digitalen Welt abgeschnitten ist. Das zweite Problem ist, dass Millionen Kinder und Jugendliche heute das Internet gar nicht richtig nutzen können, sondern - platt ausgedrückt - sehr viel Zeit dort nur verdaddeln. Sie spielen nur auf ihren Smartphones, aber der Reichtum dieser Internetwelt kommt bei ihnen nicht an, weil sie zum Beispiel dort nur Inhalte auf Englisch finden oder weil sie nur Inhalte finden, die mit ihrer Wirklichkeit gar nichts zu tun haben. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, wir haben auf der einen Seite diejenigen, die quasi komplett abgeschnitten sind vom Internet. Und dann haben wir die Jugendlichen, die das Internet nicht richtig nutzen.

Tarneden: Was wir sehen, ist, dass das Internet in der heutigen Kindheit ein Teil der Realität ist - im Guten wie im Schlechten. In digitalisierten Gesellschaften wie Deutschland kennen sich die Kinder meist besser im Netz und mit den Geräten aus als ihre Eltern. Es wird ja häufig auch beklagt, sie halten sich dort viel zu lange auf. Die viel wichtigere Frage ist: Was machen sie da eigentlich?

Es ist klar: Kinder sollten nicht ohne Ende und auch ohne Begleitung im Netz unterwegs sein. Aber wir sollten ihnen auch zutrauen und sie in die Lage versetzen, dass sie diese Zeit sinnvoll für sich nutzen können - für gute Kontakte untereinander, für Lernen, für Recherche. Es gibt aber eben auch Kinder, die sehr viele persönliche Probleme haben, die zum Beispiel Stress in der Familie haben oder tendenziell eher depressiv sind. Bei denen besteht die Gefahr, dass sie sich in den Weiten des Netzes verlieren. Denen müssen wir helfen.

DOMRADIO.DE: Bei Nahrungsarmut kann geholfen werden, indem man zum Beispiel Lebensmittel in Länder bringt. Wie ist das bei Informationsarmut. Wie sind Sie da bei Unicef aktiv? 

Tarneden: Das Entscheidende ist doch, dass wir auf mehreren Ebenen arbeiten müssen. Es ist klar, dass wir die ärmsten Länder und die ärmsten Kinder nicht noch weiter abhängen dürfen, sondern dass wir ihnen den Zugang zum Netz ermöglichen müssen. Weiterhin müssen Kinder, Familien und Schulen so geschult und vorbereitet werden, dass wir ihnen zeigen, wie man dieses Netz sinnvoll nutzen kann. In Flüchtlingslagern beispielsweise gibt es mittlerweile Programme, mit denen Kinder Fernlehrgänge besuchen können. Das sind Dinge, die tatsächlich weiter führen und die es Kindern auch ermöglichen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Auch wenn sie zeitweise aufgrund ihrer Situation nicht zur Schule gehen können. 

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR
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