Es kommt nicht oft vor, dass ein Brief von einer Gruppe katholischer Priester für politischen Zündstoff sorgt. Auf Kuba ist das anders: Vor ein paar Tagen wandten sich die Geistlichen aus Anlass des 23. Jahrestags der Messe von Johannes Paul II. in Santiago de Cuba an die kubanische Öffentlichkeit. Es sei nun an der Zeit, angesichts der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise im Land die "Ketten zu durchbrechen".
Auf der sozialistisch regierten Karibikinsel ist offener Widerspruch oder der Aufruf zum Widerstand riskant. Wer sich gegen die kubanische Revolution ausspricht, sie kritisiert oder auch nur teilweise in Frage stellt, gilt als Feind. Dass sich die Priester dies trauten, zeigt, wie tief der Frust in Teilen der katholischen Kirche, aber auch in der Gesellschaft verankert ist.
Aussöhnungsprozess ohne gewünschte Wirkung
Das Land kommt nicht voran. Der vorsichtig begonnene Aussöhnungsprozess zwischen Washington und Havanna - auf den Weg gebracht von Papst Franziskus und dem inzwischen verstorbenen Kardinal Jaime Ortega - hat nicht die gewünschte Lockerung gebracht.
Nach wie vor ist es auf Kuba für Nicht-Sozialisten verboten, eine Partei zu gründen. Nicht sozialistische Organisationen gelten offiziell nicht als Teil der Zivilgesellschaft, sie werden von jeglicher öffentlicher Finanzierung abgeschnitten. Das zwingt sie, sich fremd zu finanzieren, was Havannas Machthaber nutzen, um sie als Söldner zu diskreditieren.
Das vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama und Kubas Ex-Präsident Raul Castro eingeleitete Tauwetter beendete Donald Trump aus wahlkampftaktischen Gründen. Er brauchte die Stimmen der Exil-Kubaner in Florida, die dem Regime in Havanna in erbitterter Feindschaft gegenüberstehen. Trump drehte auch an der Sanktionsschraube, was die kubanische Wirtschaft zu spüren bekam. Nun hoffen die Kubaner auf Trump-Nachfolger Joe Biden und einen neuen Anfang.
Präsident fehlt Charisma
Kubas amtierendem und nach der Revolution geborenen Präsidenten Miguel Diaz-Canel fehlt das Charisma der vor ihm regierenden Castro-Brüder Fidel und Raul. Er muss den Mangel verwalten, traute sich aber immerhin jüngst, eine mutige Wirtschaftsreform anzusetzen.
Ihm schlägt das Misstrauen vieler Kubaner entgegen. Am sichtbarsten wird das im Konflikt mit der alternativen, nicht staatlich organisierten und kontrollierten Kunstszene. Die "Bewegung 27N", benannt nach dem Tag des öffentlichen Protests vor dem Kulturministerium am 27. November 2020, fordert ihre Rechte ein. Sie will Teil des zivilgesellschaftlichen Lebens sein und pocht darauf, ihre Kunst frei und ohne Zensur ausüben zu dürfen. In dieser Woche kehrten die Künstler wieder vor das Ministerium zurück. Videos sollen Medienberichten zufolge zeigen, wie Kubas Kulturminister dabei handgreiflich gegen Aktivisten und Journalisten wurde.
Kirche nimmt Stellung
Die Kubanische Bischofskonferenz stellte sich jüngst indirekt hinter die streikenden Kulturschaffenden. In ihrer Weihnachtsbotschaft baten die Bischöfe, dass die "Intoleranz einer gesunden Pluralität" weichen möge, so dass ein "Dialog und die Verhandlungen zwischen denen, die unterschiedliche Meinungen" vertreten, entstehen könne.
Die international renommierte kubanische Documenta-Künstlerin Tania Bruguera begrüßte diesen Vorstoß gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Stellungnahme der Kirche sei von großer Wichtigkeit, denn die Bischöfe hätten sich damit für einen Dialog ausgesprochen. "Das bedeutet, dass die Bewegung 27N für alle spricht, nicht nur für die Intellektuellen, sondern für alle Kubaner. Und dass diese Bewegung versucht, einen friedlichen Weg zu finden, um die Dinge zu ändern, die auf Kuba nicht funktionieren."