Innerhalb von Minuten verbreiten sich die Informationen in ganz Nicaragua: "Sie feuern Kugeln auf die Pfarrei Santiago de Jinotepe", twittert Managuas Weihbischof Silvio Jose Baez - und nicht nur seine Follower teilen die Botschaft in Windeseile. Später wendet sich Baez direkt an die Spitzen von Armee und Polizei: "General Julio Cesar Aviles und Bevollmächtigte Aminta Granera Sacasa: Im Namen des Herrn Jesu bitte ich Sie, die Repression zu stoppen. Seien Sie vernünftig. Keine weiteren Toten und Verletzten mehr!"
DENUNCIA. Se escuchan fuertes disparos, como de ametralladoras, en las cercanías del Barrio La Estación en Masaya. La población está aterrorizada. ¡CESE LA REPRESIÓN!
— Silvio José Báez (@silviojbaez) 22. April 2018
Die aktuellen Proteste entzündeten sich an Rentenreformplänen der Regierung, die massive Einschnitte beinhalten. Seit Ende vergangener Woche eskaliert die Lage. Menschenrechtlern zufolge kamen bislang 25 Menschen ums Leben, Dutzende wurden verletzt. Offizielle Quellen sprechen von 15 Toten. Inzwischen richtet sich die Gewalt auch gegen Parteieinrichtungen der regierenden Sandinisten. Unbekannte legten Feuer in Büros der sandinistischen Front FSLN. Ein Ende der Unruhen ist nicht in Sicht.
Symbolfigur des Protestes
Managuas Weihbischof Baez wird in diesen dramatischen Stunden zu einer Symbolfigur der Proteste. Seine Twitter-Botschaften werden tausendfach geteilt. Sein Account ist Anlaufstelle für alle, die sich mit den Demonstranten verbunden fühlen. Priester, Gläubige, Demonstranten, Studenten kommentieren, informieren, sprechen sich Mut zu. Baez schreibt auch die großen Medienhäuser an, wenn er über neue Entwicklungen berichtet. "Die Universität UPOLI wird von Kräften der Regierung belagert, kein Strom, kein Wasser und es wird geschossen. Das ist schlimm. STOPPT DIE REPRESSION! Daniel Ortega, keine Toten mehr unter unsere Jugend!", so Baez.
Fast im Stundentakt informiert er seine Landsleute und fungiert damit als Ersatzmedium. Denn die sandinistische Regierung von Präsident Daniel Ortega versucht seit der Eskalation der Lage, die unabhängigen Medien auszuschalten. Radiostationen brennen, Journalisten werden attackiert, am Samstag stirbt der Reporter Angel Eduardo Gahona. Ihn trifft eine Kugel, als er über die Unruhen berichtet. Wer geschossen hat, ist unklar. Die lokalen Medien greifen die Tweets des Bischofs auf, Live-Ticker verbreiten die Botschaften aus der Kathedrale.
Kirche unterstützt Jugend
Die katholische Kirche positioniert sich eindeutig. Die Kathedrale von Managua wird zum Epizentrum des Protests. Dort hatten am Freitag Demonstranten Schutz vor Sicherheitskräften gesucht. Baez versprach ihnen diesen - "koste es, was es wolle". Am Samstag trafen sich die Demonstranten erneut in der Kathedrale. Gekommen waren neben Baez auch Kardinal Leopoldo Brenes und mehr als 20 Geistliche. Sie üben sich im Schulterschluss mit den Studenten: "Ich möchte Ihnen im Namen der Kirche danken, denn Sie sind die moralische Reserve, die wir haben", sagt Baez. Eine besondere Bitte richtet er an die Jugend. Sie sollten sich nicht von Ideologien leiten lassen, da diese immer nur einen Teil der Realität abbildeten. Die Kirche aber stehe hinter ihnen, weil sie sich für eine gerechte Sache einsetzten.
Von der Oppositionsbewegung, die sich unter anderem unter dem Hashtag #sosnicaragua organisiert, kommen Botschaften des Dankes: "Dass es die Welt erfährt: Der Weihbischof der Erzdiözese von Managua, @silviojbaez verteidigt und beschützt die Studenten (...) in der Kathedrale (...), das Haus Gottes und seine Prinzipien bewahrend."
look at this, they're armed and protected, and they're hurting our people, they're taking them, and no one is stopping them. this is what the police is doing to us. #SOSNicaragua pic.twitter.com/4nF3uxLwYT
— #SOSNicaragua (@fromvictonn) 22. April 2018
Derweil gibt es zwischen Polizei und Kirche Streit. Sprecher der Sicherheitskräfte bestreiten, dass sie versuchten hätten, auf das Gelände der Kirche zu gelangen. Die Kirche widerspricht. Internetvideos stützen die Version der Kirche.
Präsident Daniel Ortega bezeichnete die Proteste am Samstag als Versuch, das Bild Nicaraguas zu zerstören. Vizepräsidentin Rosario nannte die Demonstranten "Vampire, die Blut für ihre politische Agenda fordern". Doch die Regierung signalisierte auch die Bereitschaft zum Dialog. Ihr dürfte klar sein, dass es inzwischen nicht mehr nur um die Rente geht.
Tobias Käufer