DOMRADIO.DE: Welche Intention verfolgen Sie mit dem Gottesdienst, den Sie Anfang der Woche gefeiert haben?
Andreas Baldenius (Kirchengemeinde St. Petri und Pauli zu Hamburg): Wir haben damit natürlich nicht gegen Impf-Skeptiker, Corona-Leugner oder gar "Querdenker" demonstriert, sondern möchten in der sehr aufgeheizten und angespannten Situation zum Gebet einladen, ausdrücklich auch die Protestierenden, die da jeden Montag stehen. Denn unser Auftrag ist nicht gegen irgendjemanden zu sein. Es sei denn Gewalt, Rassismus, andere Dinge erfordern eine eindeutige Stellungnahme. Unser Auftrag ist es Menschen zum Gebet einzuladen, zum füreinander einstehen und zum Hören auf die Bibel.
DOMRADIO.DE: Sie haben die Corona-Demonstranten eingeladen. Ist denn jemand rüber gekommen?
Baldenius: Die Menschen haben leider den Platz verlassen und sind zum Demonstrationszug durch die Fußgängerzone aufgebrochen. Allerdings bin ich mir sicher, dass unter den 350 Teilnehmern, die der Einladung zum Gebet gefolgt sind, auch nicht alle einer Meinung waren. Es war ja keine Gegenveranstaltung. Es ging nicht darum zu sagen: "Wir sind wir und ihr seid doof", sondern darum in einer wirklich schwierigen und für manche wirklich sehr angstbesetzten Situation zum Gebet zu finden.
DOMRADIO.DE: Haben Sie die Texte und die Lieder, die Sie gesprochen und gesungen haben, speziell ausgewählt?
Baldenius: Ja. Erstens haben wir tatsächlich nur Bibel gelesen, gebetet und gesungen. Wir haben ganz bewusst auf eine Ansprache verzichtet, weil wir eben nicht argumentieren wollen. So auch die Lesung, die wir ausgewählt haben. Die Bibel gibt natürlich keine unmittelbare Antwort auf die Frage: Soll ich mich impfen lassen oder nicht? Aber das Phänomen, dass es in Gemeinschaften Spannungen gibt und Meinungsverschiedenheiten, die finden wir ja in der Bibel.
So etwas ist in den jungen christlichen Gemeinden geläufig gewesen. Damals war es die Überlebensfrage der Gemeinden: Wie können wir zusammenbleiben, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind? Da ging es zum Beispiel um den Umgang mit Götzenopferfleisch in der Gemeinde in Korinth. Die Einen sagten: “Kann mir doch nichts anhaben. Ganz egal, ich bin frei. Nur was aus dem Mund rauskommt, macht unrein, nicht was in den Mund rein geht. Das hat Jesus schon gesagt.” Die Anderen haben sich allerdings durch die Frage belastet und bedroht gefühlt. Paulus hat dann geantwort: “Natürlich seid ihr frei zu essen, was ihr wollt. Ich würde es auch tun. Aber Kriterium ist das, was der Gemeinschaft dient. Im Zweifel muss man also immer auf die Schwächsten Rücksicht nehmen.” Damals waren es diejenigen, die sich bedrängt gefühlt haben.
Ich will jetzt wiederum nicht Partei ergreifen, sondern einfach feststellen, dass genau das die Frage ist: Wer sind die Schwachen? Das kann man natürlich auf unsere Gesellschaft übertragen. Sind das diejenigen, die sich auf eine Impfung einlassen müssten, obwohl sie Magengrummeln haben? Oder sind das diejenigen, die einfach überhaupt gar nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen können, weil sie hochgradig gefährdet sind, solange nicht alle geimpft sind?
DOMRADIO.DE: Haben Sie mit den Leuten der Querdenker-Demo denn mal gesprochen?
Baldenius: Ja, das tun wir dauernd. Das Thema geht ja auch quer durch die Familien und natürlich auch durch unsere eigenen Gemeinde. Außerdem leben wir auch sehr vernetzt mit den nicht-kirchlichen Organisationen. So sind wir ständig in Kontakt und bemühen uns natürlich im Gespräch zu bleiben. Sei es durch die Beantwortung von E-Mails, durch persönliches eingehen auf die Einzelnen und so weiter.
Aber im Rahmen so einer Demonstration geht das "ins Gespräch kommen" sowieso nicht. Die Hoffnung habe ich mir gar nicht gemacht. Das Problem ist, dass man in den Gesprächen keine gemeinsame Informationsgrundlage findet. Man scheitert immer an der Stelle, wo man über Fakten diskutieren möchte.
Wissenschaftler sind nicht immer einer Meinung. Als Gesellschaft sollten wir uns, die wir selber keine Wissenschaftler sind, aber immer dem wissenschaftlichen Konsens anschließen. Entsprechend arbeiten wir im Konfirmandenunterricht, in der Erwachsenenbildung und auch bei Predigten.
So sollten wir es auch in Corona-Zeiten halten. Ja, es gibt abweichende Meinungen; Ja, es ist wichtig, die auch zur Kenntnis zu nehmen. Aber diese abweichenden Meinungen müssen sich dem wissenschaftlichen Diskurs stellen. Genau das tun sie aber meistens nicht.
Wenn wir als Kirchengemeinderat darüber entscheiden müssen, ob oder wie ein Gottesdienst zu Corona-Zeiten veranstaltet werden kann, orientieren wir uns natürlich an dem ganz überwiegenden wissenschaftlichen Konsens, weil wir in die unabhängige wissenschaftliche Meinung Vertrauen setzen müssen.
DOMRADIO.DE: Planen Sie jetzt jeden Montag so einen Freiluft-Gottesdienst, wo einfach gebetet und gesungen wird?
Baldenius: Wir werden sicher wieder auf dem Kirchenvorplatz Gottesdienst feiern. So haben wir es auch bisher gemacht. Wir werden uns aber ebenso sicher nicht von dieser Gruppe die Agenda vorschreiben lassen. Das würde diesen Demos eine zu große Bedeutung geben. Wir feiern ganz regelmäßig Gottesdienst. Meistens in der Kirche, aber auch als Spaziergang durch die Gärten, an Himmelfahrt Open Air und was weiß ich wie. Aber wir werden aus dem Gottesdienst nicht jeden Montag irgendwie eine Gegenaktion machen. Zumal wir sowieso keine Gegenaktion machen wollen, sondern seelsorgerisch und spirituell begleiten wollen.
DOMRADIO.DE: Wie stehen sie denn zu Gegendemos fürs Impfen?
Baldenius: Ich finde, dass das jeden Tag passiert. In den letzten Wochen haben sich auch schon bevor eine allgemeine Impfpflicht diskutiert wurde, jeden Tag Hunderttausende Menschen impfen lassen. Wenn man dann hört, dass in Hamburg 11.000 Impfgegner demonstrieren oder in Sachsen 9.000, sind das natürlich viele auf einmal. Aber die Mehrheit, das Volk denkt verantwortlich und verhält sich besonnen. Das sieht man an den Hunderttausenden oder sogar eine Million, die sich täglich impfen lassen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.