DOMRADIO.DE: Sie führen auch Menschen durch die Goldene Kammer, durch die Kapelle in der Kirche Sankt Ursula. Dort befinden sich die Reliquien der Ursula-Gefährtinnen. Das würde ja bedeuten, dort liegen die Reliquien von 11.000 Frauen fein säuberlich übereinandergestapelt, oder?
Dr. Dominik Meiering (Domkapitular, leitender Pfarrer der Kölner Innenstadtgemeinden): Ganz so ist es nicht. Das ist ein wunderbarer Ort. Menschen aus der ganzen Welt kommen, um sich dieses einzigartige Schauspiel anzuschauen. Denn diese barocke Kapelle ist in der Tat an den Wänden mit Knochen aus dem riesigen Gräberfeld dekoriert, das rund um Sankt Ursula gefunden wurde. Und da sind mit Sicherheit auch eine ganze Menge Reliquien darunter.
Wir wissen ja, dass die Heilige Ursula, eine britannische Königstochter, im 5. Jahrhundert von den Hunnen hier in Köln ermordet wurde. So erzählt uns die Legende. Und wir wissen, dass an diesem Ort eine große Tradition der Verehrung der Ursula und ihrer Gefährtinnen stattfindet. Aber dieser Ort ist natürlich spektakulär.
DOMRADIO.DE: Ist das alles eine Legende? Ist das ein Märchen? Oder hat es diese Ursula wirklich gegeben? Vor allen Dingen auch mit ihren 11.000 Gefährtinnen?
Meiering: Das ist natürlich immer die alles entscheidende Frage. Fest steht und das wissen wir, weil es dazu eine antike Inschrift aus Stein gibt, die man im Hochchor von Sankt Ursula sehen kann, dass ein römischer Senator mit Namen Clematius an dieser Stelle einen Kirchenbau errichtet hat, und zwar zum Gedächtnis an Märtyrer-Jungfrauen. Anders formuliert: Es ist klar, hier hat es wirklich das Märtyrer-Zeugnis, das Glaubenszeugnis bis zum Tod gegeben von jungen Frauen.
Ob das jetzt 11.000 waren? Das ist eher unwahrscheinlich. Vermutlich eher elf, denn nach dem Zweiten Weltkrieg fand man in der Kirche in der Tat elf Gräber. Aber als man im 13. Jahrhundert die Stadtmauer rundherum gebaut hat, fand man dort riesige Berge von Knochen, also Gräber. Und man hat gedacht, die gehören alle zu diesen Begleitungen, zu den Jungfrauen, zu denen, die vielleicht mit der Ursula unterwegs gewesen sind. Dann wurde das so interpretiert. Für Köln war das natürlich damit ein wichtiger Wallfahrtsort. Sankt Ursula bekam damit eine große Berühmtheit.
DOMRADIO.DE: Welche Bedeutung hat die Heilige Ursula für Köln denn heute?
Meiering: Ich glaube, es geht darum, Zeugnis zu geben. Dieser historische Kern, der in der Geschichte drinsteckt, bleibt ja bestehen. Da waren Menschen, die für ihren Glauben eingetreten sind – und zwar mit allem, mit ihrer ganzen Existenz. Sogar, wenn es so weit ging, dass sie den Glauben mit ihrem Leben bezeugen mussten.
Das gibt es bis zum heutigen Tag in dieser Welt, wenn wir nach Pakistan oder in die arabische Welt schauen. Es gibt immer wieder Menschen, die ihren Glauben bezeugen. Aber es geht natürlich auch bei uns. Auch wir sind gefordert, wenn wir angefragt werden, wenn wir kritisiert werden, irgendwie unseren Glauben zu bekennen. Ich finde schon, dass diese Ursula eine Aktualität bis zum heutigen Tag hat. Weit über irgendetwas Folkloristisches hinaus spürt man das, auch wenn man in die Kirche kommt. Man spürt: Das ist ein Ort des Glaubens.
Das Interview führte Verena Tröster.
(Der Artikel wurde im Original am 21. Oktober 2019 veröffentlicht.)