Nach dem Paukenschlag aus Rom mit dem vatikanischen Veto gegen US-Alleingänge in Sachen Missbrauch folgte beim Herbsttreffen der Bischöfe in Baltimore am Dienstag ein weiterer Schock. Der Chef der kirchlichen Überprüfungsbehörde zum Kindesmissbrauch, Francesco Cesareo, stellte den Bischöfen ein miserables Zeugnis aus.
Der 2002 nach dem Missbrauchsskandal von Boston eingesetzte Kinderschutzbeauftragte erhob vor den Kirchenoberen aus den 196 US-Diözesen schwerste Vorwürfe. Obwohl die Bischöfe bereits einige Maßnahmen ergriffen hätten, sei ihre Antwort auf die Krise "unvollständig" geblieben. Das betreffe insbesondere den Umgang mit ihren Amtsbrüdern.
Klare Worte des Beauftragten
Die Bilanz des Beauftragten fällt verheerend aus. Mehr als 130 Bischöfe seien "während ihrer Laufbahn beschuldigt worden, versäumt zu haben, auf Missbrauchsvorwürfe in ihren Diözesen einzugehen". Darunter sei auch der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz, Erzbischof Daniel DiNardo. Andere hätten sich selbst Missbrauchsvorwürfen ausgesetzt gesehen. "Wenige haben echte Konsequenzen erlebt. Das muss sich ändern."
Mutige Worte für einen Laien vor den rund 350 Bischöfen, die einigermaßen betrübt den Ausführungen folgten. Mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen in Pennsylvania und rund um Ex-Kardinal Theodore McCarrick sprach Cesareo von fehlender Transparenz über vergangene Missbrauchsfälle, aber auch vom Mangel an Verantwortlichkeit der Bischöfe.
Vertrauensverluste bei den Gläubigen
"Heute trauen die Gläubigen und der Klerus vielen von ihnen nicht mehr. Sie sind wütend und frustriert, nicht länger zufrieden mit Worten und selbst mit Gebeten", erklärte Cesareo vor den 350 Bischöfen. "Sie verlangen Maßnahmen, die auf einen Kulturwandel in der Führung der Kirche hindeuten. Ihr Misstrauen wird bleiben, bis sie wirklich die Prinzipien von Offenheit und Transparenz leben, die in der Charta stehen."
Damit bezog sich Cesareo auf die 2002 beschlossene "Charta zum Schutz von Kindern und Jugendlichen", die einst als Meilenstein in der Bewältigung der Missbrauchskrise gefeiert wurde und immerhin dazu beitrug, die Zahl neuer Fälle drastisch zu reduzieren.
Maßnahmenpaket für den Umgang mit der Missbrauchskrise
Es sei bedauerlich, dass die Bischöfe diese Woche nicht zur Tat schreiten könnten, um weitergehende Maßnahmen zu beschließen, kritisierte der Chef der Überprüfungsbehörde die Intervention aus Rom, die eine Verabschiedung neuer Regeln und Sanktionen durch die Bischofskonferenz unterbunden hatte. "Aber wir stehen hinter diesen Empfehlungen."
Plötzlich fand sich der scharfe Kritiker in einem Boot mit den gerade noch Kritisierten, die bis zu Beginn der Herbsttagung fest entschlossen waren, ein weiteres Maßnahmenpaket für den Umgang mit der Missbrauchskrise zu beschließen. Dieses sollte aus einem Verhaltenskodex für Bischöfe, einer unabhängigen Überwachungskommission und einer Art Beschwerdeinstanz bestehen. In den beiden letzteren Institutionen sollten Laien eine Schlüsselrolle haben.
Das ging dem Vatikan entweder zu weit oder nicht weit genug, umfasste nicht die Welt-, sondern nur die US-Ortskirche - und kam deshalb, drei Monate vor dem Treffen der Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen im Vatikan, offenbar zu früh. Was auch immer der Grund war: DiNardo bemühte sich bei Verkündung der Vollbremse aus Rom nicht einmal, seine Enttäuschung zu verbergen.
Gehorchenden Beischöfe
Trotz lauten Murrens über die Intervention gehorchten die Bischöfe in Baltimore der Vatikanweisung und stimmten nicht über den Aktionsplan ab. Ohne klares Konzept debattierten sie über mögliche Wege, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Dabei zeichnete sich auch Unterstützung für eine vollständige Untersuchung des Falls des gestürzten Ex-Kardinals Theodore McCarrick ab, der noch vor wenigen Jahren eine einflussreiche und geachtete Figur in der Konferenz war.
Der erfahrene Vatikanbeobachter und Kenner der US-Kirche John Allen meint, der Verlauf der Herbsttagung von Baltimore habe den Ball nun ins Feld des Papstes gelegt. Das römische Welttreffen der Bischöfe im Februar müsse nun "ein ganz dramatisches Ergebnis" liefern. Andernfalls könnte es in den USA "blutig" werden.