Auf diesen Moment hat Christa Brown lange gewartet. "Genau das ist nötig, Halleluja!" twitterte sie vergangenen Freitag. An dem Tag machte die Nachricht die Runde, das US-Justizministerium habe Ermittlungen gegen die "Southern Baptist Convention" (SBC) wegen sexuellen Missbrauchs aufgenommen.
Als damals 16-Jährige gehörte Christa zu den Opfern. Bei ihren Kirchenoberen stieß sie jahrelang auf taube Ohren. Nun müssen diese die Fragen der Ermittler beantworten, die bereits Unterlagen der dezentral organisierten Kirche angefordert haben.
Im Mai veröffentlichter Bericht
Darunter auch die Kopie eines Untersuchungsberichts, der bei der jüngsten Vollversammlung von der Mehrheit der 15.000 Delegierten in Auftrag gegeben worden war. Die 86 Mitglieder des Exekutivkomitees hatten nach hitziger Diskussion die anwaltliche Schweigepflicht für die Untersuchung aufgehoben. Dadurch erhielten die externen Gutachter von "Guidepost Solutions" bislang beispiellosen Zugang zu internen Dokumenten.
Der im Mai veröffentlichte Bericht bestätigte schlimmste Befürchtungen. Hunderte Missbrauchsfälle seien in den vergangenen Jahrzehnten von führenden SBC-Vertretern systematisch ignoriert oder heruntergespielt, die Opfer teils sogar verleumdet worden. Der 205 Seiten lange Bericht listet etliche Namen mutmaßlicher Täter aus den Reihen der Pastoren und anderer Kirchenmitarbeiter auf.
Einmischung des Justizministeriums ist ungewöhnlich
Dass nun das Justizministerium den Fall an sich zieht, ist ungewöhnlich. Üblicherweise kümmern sich lokale Behörden der Bundesstaaten um Missbrauchsangelegenheiten. Kirchen fassten sie bislang nur mit spitzen Fingern an, um den Eindruck von Eingriffen in die Religionsfreiheit zu vermeiden. Auch wenn das Justizministerium bislang zu den Ermittlungen schweigt, deutet die Intervention auf einen strafrechtlichen Anfangsverdacht hin.
Der erst seit wenigen Wochen amtierende SBC-Präsident Bart Barber bestätigte die Ermittlungen und signalisierte Mithilfe. Alle SBC-Einheiten seien entschlossen, "voll und ganz mit der Untersuchung zu kooperieren", sagte er.
Seit Jahren fordern Missbrauchsopfer die SBC-Führungsriege auf, Missbrauchsfälle einzugestehen. Die Bewegung "ChurchToo" will nicht nur die Täter zur Verantwortung ziehen, sondern auch die Verantwortlichen, die gezielt Missbrauch vertuschten und leugneten.
Der "Guidepost"-Bericht liefert die Basis dafür. Er dokumentiert Missbrauchsvorwürfe, die mehr als 20 Jahre zurückreichen und hunderte Verdächtige betreffen. Besonders brisant ist der Befund, dass SBC-Führer offenbar über Jahre hinweg Listen mit Missbrauchstätern führten. Aufgelistet sind demnach 703 Personen, denen sexueller Kindesmissbrauch und die Vergewaltigung erwachsener Frauen vorgeworfen wird.
Es droht eine Klageflut
Auf der Liste steht den Angaben zufolge auch der Name des ehemaligen SBC-Präsidenten Johnny Hunt. Ein mutmaßliches Opfer gab an, Hunt habe sie mit dem Argument von einer Anzeige abgebracht, diese werde der Kirche schaden. Dahinter steckt laut dem Bericht System. Die Mitglieder des Exekutivausschusses und ihre Anwälte hätten dringend dazu geraten, Missbrauchsvorwürfe abzuschmettern, um das Haftungsrisiko klein zu halten. Nun droht der SBC eine Klageflut.
Zugleich sinkt die Zahl ihrer Mitglieder. Nicht nur Prominente wie der frühere Leiter der SBC-Ethik-Kommission Russell Moore und die langjährige Galionsfrau und Bibellehrerin Beth Moore haben die SBC verlassen. Auch einfache Kirchgänger kehren den Southern Baptist in Scharen den Rücken. Die SBC, die sich als Bollwerk gegen Liberalismus und Säkularisierung versteht, zählte zuletzt vor 40 Jahren so wenige Mitglieder.
Viele von ihnen empfinden wie Christa Brown. Ihre Missbrauchserfahrung in der eigenen Kirche habe "ein Vermächtnis des Hasses" hinterlassen. Ihr Glaube von früher spende ihr keinen Trost mehr. Sie fühle sich seelisch ermordet.