Die Diskrepanz könnte nicht größer sein: Während die katholischen US-Bischöfe den Kampf gegen Abtreibung als "überragendes
Thema" im aktuellen Wahlkampf sehen, setzt die katholische Wählerschaft andere Prioritäten. In den hart umkämpften Swing States rangiert die Abtreibungsfrage in der entsprechenden Klientel abgeschlagen auf Platz acht - deutlich hinter Wirtschafts- und Steuerfragen, Einwanderung und Grenzsicherung, bezahlbarem Wohnraum und Gesundheitsversorgung.
Das ist das Ergebnis einer Umfrage des "National Catholic Reporter" (NCR), der Anfang Oktober knapp 1.200 Katholiken aus den sieben Wechselwählerstaaten Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin befragt hatte.
Das katholische Medium hat die Umfrageergebnisse gemeinsam mit Experten analysiert und ist dabei auf verschiedene Aspekte eingegangen. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob der katholische Glaube an der Wahlurne in den Vereinigten Staaten überhaupt noch eine Rolle spielt.
Luis Fraga von der privaten katholischen University of Notre Dame im Bundesstaat Indiana meint, dass dies immer noch so sei. Katholische Wähler nähmen ihren Glauben ernst, aber: "Katholisch zu sein bedeutet nicht für jeden Katholiken dasselbe."
Katholiken keine homogene Gruppe
Dieser Befund spiegelt eine längere Entwicklung wieder. US-Katholiken seien längst keine homogene Gruppe mehr, so Theologe Steven Millies. Er lehrt an der Catholic Theological Union, einer katholischen Graduiertenschule für Theologie in Chicago, Illinois. Die katholische Wählerschaft sehe im Jahr 2024 größtenteils wie der Rest der Gesellschaft aus. "Katholische Republikaner sind Republikaner - und katholische Demokraten sind Demokraten", sagt Millies.
Diese Entwicklung zeigt sich besonders in der Abtreibungsfrage. Die an der University of Pennsylvania tätige Religionsforscherin Anthea Butler betont, dass katholische Wähler im Zweifel eher eine politische als eine katholische Identität annähmen. Nur 17 Prozent der befragten Katholiken in den umkämpften Swing States gaben demnach an, keinen Kandidaten zu wählen, der eine abweichende Haltung in Sachen Abtreibung vertrete.
Dass weiße Katholiken in den Swing States laut der NCR-Umfrage Donald Trump mit 16 Prozentpunkten Vorsprung auf Kamala Harris unterstützen, ist für Butler ein Beleg für politisch-pragmatische Prioritäten. Ob der jeweilige Kandidat ein gottgefälliges Leben führe, sei eher zweitrangig.
Thema Abtreibung weiter in den Schlagzeilen
Im Wahlkampf sorgt Abtreibung bei Demokraten und Republikanern derweil für unterschiedliche Schlagzeilen. Während sich Harris ohne Einschränkung für einen landesweit straffreien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einsetzt, meidet Trump das Thema neuerdings und will die Regelung lieber den einzelnen Bundesstaaten überlassen. Hintergrund ist ein wegweisendes Urteil des Obersten Gerichts der Vereinigten Staaten. Dieses hatte 2022 geurteilt, dass aus der US-Verfassung kein landesweit gültiges Recht auf Abtreibung abgeleitet werden kann.
Seitdem haben rund 20 republikanisch regierte Bundesstaaten Gesetze verabschiedet, die Abtreibungen einschränken oder weitgehend verbieten. Der Erfolg der Abtreibungsgegner vor Gericht entpuppte sich indes als zweischneidig. Denn in der Folge entschieden sich Bürgerinnen und Bürger mehrerer Staaten per Referendum für den Erhalt einer liberalen Regelung.
Sonderfall Nevada
In den Swing States könnte der anhaltende Streit für viele Frauen den Ausschlag an der Wahlurne geben. Zum Beispiel in Nevada. Die demokratische Senatorin Jacky Rosen baut ihren gesamten Wahlkampf um das Thema herum auf. In Umfragen liegt sie vor ihrem republikanischen Herausforderer Sam Brown. Ihr hilft, dass Nevada mit der "Proposition 6" am Wahltag ebenfalls ein Referendum abhält, das den legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen garantieren soll.
Politologin Sarah Richardson erklärt, die Abtreibungsfrage habe viele Frauen politisiert, die sich zuvor wenig für Politik interessiert
hätten. "Wir sehen eine nie dagewesene Mobilisierung, besonders bei jungen Frauen und in den Vorstädten", so die Wissenschaftlerin der Harvard University. Diese Wählerinnen stünden mehrheitlich hinter Harris, die für umfassende "reproduktive Freiheit" wirbt.
Ein landesweiter Trend, der auch vor katholischen Frauen nicht halt macht. Umfragen belegen, dass sich etwa 60 Prozent der Katholikinnen für einen straffreien Zugang zu Abtreibungen aussprechen. Der Anteil entspricht der Haltung aller US-Amerikanerinnen.