Es ist nicht bloß ein verlorener Prozess, sondern das Ende einer erfolgversprechenden Strategie der "Pro-Life"-Bewegung. Entsprechend groß ist die Enttäuschung über das wichtigste Abtreibungsurteil des US-Supreme-Court seit Jahren.
"Das ist ein neuer Tiefpunkt der Rechtsprechung", sagte die Juristin Lucia Silecchia von der Catholic University of America dem katholischen Internetportal "Crux". "Nicht nur die katholische Gemeinschaft sollte über eine Entscheidung betrübt sein, die Respektlosigkeit für das ungeborene Leben mit Rücksichtslosigkeit gegenüber der Gesundheit von Frauen verbindet."
250 Restriktionen auf der Kippe
Die Rechtsprofessorin versteht die Konsequenzen der Entscheidung "Whole Woman's Health v. Hellersted" nur zu gut. Auf der Kippe stehen nun bis zu 250 Restriktionen, mit denen 31 US-Bundesstaaten den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu regulieren versuchen.
Die "Pro-Life"-Bewegung hatte ein Urteil des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2007 als Signal für eine Bereitschaft zu strengerer Regulierung verstanden. Damals bestätigten die Richter ein Verbot für bestimmte Formen der Spätabtreibung. Statt ausschließlich an einer radikalen Überwindung des Urteils "Roe v. Wade" von 1973 zu arbeiten, das so etwas wie einen Rechtsanspruch auf Abtreibung schuf, sahen die Lebensschützer im Kampf für striktere Detailvorschriften einen vielversprechenden Ansatz.
Schließung vieler Abtreibungsklinike
Seitdem haben "Pro-Life"-freundliche Gesetzgeber in der Mehrzahl der US-Bundesstaaten eine Reihe an Einschränkungen formuliert. Diese reichen von einer Benachrichtigungspflicht der Eltern von minderjährigen Schwangeren über Vorschriften zur Ausstattung von Abtreibungskliniken bis hin zu Zulassungen, die Ärzte bei lokalen Krankenhäusern haben müssen. In dem nun vom Verfassungsgericht verhandelten Fall ging es um letztere beiden Vorschriften, die zur Schließung vieler Abtreibungskliniken geführt hatten.
Der Supreme Court kehrte nun mit seiner 5:3-Entscheidung zu einem Grundsatzurteil aus dem Jahr 1992 zurück, in dem er Einschränkungen bei Abtreibungen davon abhängig machte, ob die Regeln eine "unzumutbare Bürde" für Frauen darstellten. Richter Stephen Breyer schrieb in der Urteilsbegründung, keine der behandelten Vorschriften "bietet medizinische Vorteile, die ausreichen, um die Bürde zu rechtfertigen, die sie Frauen beim Zugang zu Abtreibungen auferlegen".
"Es hat die Tür aufgestoßen"
Frauengruppen und Vertreter des "Pro-Choice"-Lagers werteten das Urteil als Kehrtwende. "Es hat die Tür aufgestoßen, um Restriktionen von Bundesstaat zu Bundesstaat, Gesetzgeber zu Gesetzgeber, Gesetz zu Gesetz in Frage zu stellen", so das Fazit von Cecile Richards, Vorsitzende der umstrittenen Organisation Planned Parenthood. Beschwerden gegen Zulassungsvorschriften für Abtreibungsärzte in Alabama, Kansas, Louisiana, Missouri, North Dakota, Oklahoma, Tennessee und Utah sind bereits in Vorbereitung.
Wie grundlegend die Entscheidung vom Montag war, bekräftigte das Gericht tags drauf: Es wies Beschwerden gegen Urteile zurück, die Einschränkungen bei Schwangerschaftsabbrüchen in den Gesetzen der Staaten Wisconsin und Mississippi als unvereinbar mit der Verfassung gewertet hatten. Genauso lehnten es die Richter ab, einen Fall aus Washington zu verhandeln, bei dem ein evangelikaler Apotheker seine Rechte durch ein Gesetz verletzt sieht, das ihn zur Abgabe der "Pille danach" verpflichtet.
Unklarheit wie es weitergeht
Verfassungsrichter Samuel Alito beklagte, dass seine Kollegen keine Zeit für den Fall aufwenden wollten: "Wenn das ein Zeichen ist, wie religiöse Freiheitsrechte in den nächsten Jahren behandelt werden, haben diejenigen, denen Religionsfreiheit am Herzen liegt, Anlass zur Sorge."
Wie es für die Lebensschützer nun weitergeht, bleibt nach den Entscheidungen dieser Woche unklar. Marjorie Dannenfelser, Vorsitzende der Organisation "Susan B. Anthony List", kündigte an, es müsse jetzt umso mehr darum gehen, bei den Kongresswahlen im November Abgeordnete zu wählen, die Abtreibungen einschränken wollen.