US-Präsidentschaftskandidaten taktieren in der Abtreibungsfrage

Ein unwillkommenes Wahlkampfthema

Kurz vor den jeweiligen Wahlparteitagen liefern sich die beiden US-Präsidentschaftskandidaten derzeit einen heftigen Schlagabtausch. Dauerthemen sind die Haltung zum Georgien-Konflikt, die Energiepolitik und der Irak. Mit der TV-Debatte vom vergangenen Wochenende hat auch die Abtreibungsproblematik die politischen Lager wieder erreicht - was keiner Seite wirklich willkommen ist. Denn man befürchtet, mit einer zu eindeutigen Haltung sogenannte gemäßigte Wähler zu verprellen.

Autor/in:
Ronald Gerste
 (DR)

So bezieht der Republikaner John McCain zwar auf den ersten Blick eine eindeutige Position gegen Abtreibung. Doch wird nicht ausgeschlossen, dass er sich mit der Ernennung eines Vize mit vermeintlich liberalerer Einstellung eine Hintertür offen halten und zwei Standpunkte in seinem politischen Profil vereinen möchte. Der Demokrat Barack Obama hingegen wird es den «Pro Lifern», also Amerikanern, die ein grundsätzliches Abtreibungsverbot fordern, ohnehin nicht recht machen können - und wollen.

Die mit großer Aufmerksamkeit landesweit verfolgte TV-Diskussion beim weithin bekannten evangelikalen Prediger Rick Warren hat die oft nicht eindeutige Haltung beider erneut deutlich gemacht. Obama zeigte sich ausweichend: Die Frage, wann menschliches Leben beginnt, bedürfe einer theologischen oder einer wissenschaftlichen Perspektive und sei «oberhalb meiner Einkommensklasse». Zu deutsch:
Dies zu definieren, fühle er sich nicht kompetent genug.

Unmittelbar nach der Debatte starteten Abtreibungsgegner auf christlichen Websites und über die Presse eine Kampagne, die an Obamas Abstimmungsverhalten in seiner Zeit als Senator im Parlament von Illinois erinnerte. Obama hatte 2002 gegen ein Gesetz gestimmt, das Föten schützt, die bereits eine fehlgeschlagene Abtreibung überlebt haben.

Mit diesem bislang weithin unbekannten Detail aus Obamas kurzer Karriere als Gesetzgeber auf Staatsebene versuchen «Pro Lifer» den Senator als «Extremisten» darzustellen. Obama sah damals in der republikanischen Gesetzesinitiative einen Versuch, die landesweit gültige Rechtsprechung von 1973 zu unterlaufen, die Abtreibung unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Außerdem wandte er sich gegen das Ansinnen, jedes aus dem Mutterleib entfernte Leben mit vollständigen Bürgerrechten auszustatten - auch wenn dies Ärzte verpflichtet hätte, völlig unreife Föten zu betreuen, und letztlich die Belastung der Mutter noch vergrößert hätte.

Rivale McCain hingegen, der sich über viele Jahre seiner Senatskarriere in der Rolle des «Maverick», des Abweichlers von den offiziellen Positionen seiner Partei, gefallen hat, ist wie in anderen Bereichen auch in der Abtreibungsfrage in die konservative Kernzone der Republikaner vorgerückt. Die Frage, wann Leben beginnt, beantwortete er in Warrens Diskussion eindeutig mit «bei der Befruchtung». Sein bisheriges Abstimmungsverhalten im Senat gilt als konsequent «pro life». Dennoch haben ihn religiös Konservative lange mit Misstrauen beobachtet. Zum einen schien die Abtreibungsfrage nie wirklich hoch auf seiner Agenda zu stehen; zum anderen hat er sich in der Vergangenheit wiederholt mit Evangelikalen angelegt und führende Vertreter wie die TV-Prediger Pat Robertson und Jerry Falwell als «Agenten der Intoleranz» bezeichnet.

So eindeutig inzwischen seine Haltung zu sein scheint - Abtreibungsgegner nehmen den Senator nicht mit offenen Armen auf. Zu laut sind Gerüchte, dass sich McCain einen Vize-Kandidaten («runningmate») sucht, der an der bisherigen Abtreibungsgesetzgebung nichts ändern würde. Als heiße Kandidaten werden zurzeit der frühere Minister für nationale Sicherheit Tom Ridge und der jüdische Senator Joe Lieberman gehandelt.

Bei einem erwartet knappen Wahlausgang kann der - eigentlich nicht zentralen - Abtreibungsdiskussion dennoch eine entscheidende Bedeutung zukommen. Laut Umfrage des Nachrichtenmagazins «Time» lehnt jeder fünfte Wähler ab, einen Kandidaten zu wählen, der nicht die eigene Position in der Abtreibungsfrage teilt. 26 Prozent der befragten Republikaner und 18 Prozent der befragten Demokraten halten das Thema sogar für wahlentscheidend.