DOMRADIO.DE: Zweitausend Jahre, das ist eine lange Zeit, in der es auch viel Spionage, Intrigen und Problemen gab. Welche Geschichte ist da besonders interessant?
Ulrich Nersinger (Vatikan-Experte): In den achtziger Jahren habe ich in Rom studiert und damals sind wir als einfache Studenten sogar mit diesem Phänomen Spionage in Berührung gekommen. Ich kann mich erinnern, dass einer meiner Professoren zu einer Gruppe gehörte, die die Ansprachen des Papstes ins Deutsche übersetzte. Der erzählte mir von einem Kollegen, ein Benediktiner Pater aus dem Bistum Trier, der den Text immer so übersetzte, dass die schärfste Interpretation dieser Papstansprach entstand. Das hat ihn sehr verwundert, und er konnte sich das nicht so ganz erklären.
Einige Jahre später, ich glaube es war 1992, kam dann heraus, dass der betreffende Ordensmann für den KGB, den sowjetischen Geheimdienst, und auch für den DDR-Geheimdienst gearbeitet hatte. Damals gab es eine ganze Reihe auch von Deutschen, die den Vatikan noch aus der Sicht östlicher Geheimdienste im Fokus und auch für diese gearbeitet hatten.
DOMRADIO.DE: Aber die Frage ist: Warum? Wenn Russland gegen Amerika oder Deutschland Spionage betreibt, ist das nachvollziehbar, aber der Vatikan hat ja keine politischen Interessen. Weshalb gerät er trotzdem in die Schusslinie?
Nersinger: Man muss bedenken, dass der Vatikan oder besser gesagt der Heilige Stuhl eine zweitausend Jahre alte Institution und auf der ganzen Welt vertreten ist. Heute würden wir sagen: Er ist ein "Global Player". Das macht ihn natürlich für jeden Geheimdienst interessant, weil überall auf der Welt Katholiken leben und diese Katholiken natürlich in den Ländern eine Rolle spielen, sogar wenn sie eine Minderheit sind. Von daher ist immer ein Interesse da. In den achtziger und neunziger Jahren waren das vor allen Dingen auch die östlichen Geheimdienste, weil damals auch ein Papst auf dem Thron des Heiligen Petrus saß, der ein Pole war.
DOMRADIO.DE: Das ist kein neues Phänomen, das ist schon aus den frühen Zeiten der Kirche zu erzählen, dass es Intrigen, dass es Spionage gab. Das ging sogar so weit, dass die Päpste und der Vatikan eigene Schriften und eigene Geheimcodes entwickelt haben.
Nersinger: Es gibt eine hübsche Geschichte vom Wiener Kongress, bei dem ja auch die Korrespondenz, die man zu den Herrschern oder den Regierungen hatte, verschlüsselt werden musste. Damals erzählte der Kardinalstaatssekretär Consalvi in einem Gespräch mit Metternich, einer der führenden Gestalten des Kongresses, dass die katholische Kirche eigentlich ein Miterfinder der geheimem Schriften sei, weil man schon in der Zeit der Verfolgung den Fisch benutzte, der auf den Boden gezeichnet oder irgendwo anders publik gemacht wurde.
Das griechische Wort "Ichthys" war eine Abkürzung, die einzelnen Buchstaben standen für Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser. So konnte man sich erkennen, ohne dass man den Verfolgern dann direkt im Gespräch einen Hinweis gab.
DOMRADIO.DE: Heute sieht es anders aus. Die moderne Technik wurde zum Beispiel bei der letzten Papstwahl 2013 in Form von Störsender eingesetzt. Wie geht denn der Vatikan heute mit solchen Problemen um?
Nersinger: Da ist die vatikanische Gendarmerie, ich würde fast sagen, federführend. Sie hat die modernsten Techniken, die Störsender entwickelt, die so stark sind, dass sie beim letzten Konklave die italienische Flugüberwachung informieren musste, dass kein Hubschrauber, auch nicht im Notfall, über den Vatikan fliegt, weil sonst die Steuertechnik in Bedrängnis geraten wäre und es unter Umständen zu einem Absturz gekommen wäre.
DOMRADIO.DE: Jetzt sind das alles nur Vorsichtsmaßnahmen beim letzten Konklave gewesen. Wir sind im Jahr 2018, einer Zeit, in der es genug politische Spannungen in der Welt gibt. Was denken Sie: Ist Spionage im Vatikan eine Frage der Vergangenheit oder wird es auch jetzt und in Zukunft noch ein Thema sein?
Nersinger: Ich vermute, dass es sogar stärker wird. Es gibt ein Ereignis in der katholischen Kirche, das wir schon erwähnt haben, nämlich das Konklave, das für alle Dienste von großem Interesse ist. Mit dem Ausgang einer Papstwahl werden in der katholischen Kirche Weichen gestellt. Das haben wir jetzt auch im Pontifikat von Franziskus gesehen und daher ist es natürlich interessant, für jede Art von Geheimdienst oder Nachrichtendienst hier Einfluss zu gewinnen oder zumindest Informationen zu bekommen. Denn wie schon gesagt, überall auf der Welt leben Katholiken und ich denke, dass wir das bei den nächsten Konklaven sehr stark erleben werden.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.