Schwester Livia hat die Nummer 7. Die Ordensschwester von den "Pie Discepole del Divin Maestro", einem Orden, der im Vatikan die Telefonzentrale managt und einen Souvenir-Stand in der Kuppel des Petersdoms betreibt, hat ihre Tracht gegen das gelbe Trikot der vatikanischen Frauenfußball-Nationalmannschaft getauscht.
In einer Reihe mit ihren Mannschaftskolleginnen lauscht sie der vatikanischen Nationalhymne, die über das Grün des Käthe-Tucholla-Stadions in Berlin-Oberspree schallt. Es ist das erste Mal, dass die Spielerinnen zu den Klängen der Nationalhymne zu einem offiziellen Auslandsspiel für den Vatikan antreten. Es ist ein Freundschaftsspiel gegen die Damenmannschaft des KSV Johannisthal.
Verein hatte gar keine Frauenmannschaft
Allein das ist schon ein kleines Wunder, denn der KSV Johannisthal hatte gar keine eigene Frauenmannschaft. Das allerdings ist für Elmar Werner, den Vereinspräsidenten des KSV Johannisthal kein Hindernis. Zwar gründete der evangelische Pfarrer den ökumenischen Fußballverein im Jahr 1980 zusammen mit seinem katholischen Kollegen als reinen Herrenverein, aber als Werner erfuhr, dass es im Vatikan nicht nur eine Herren-, sondern auch eine Damen-Fußballnationalmannschaft gibt, war sein Ehrgeiz geweckt. Und dass er organisieren kann, hat er schon oft bewiesen.
Diplomaten-Fußballturniere zur Zeit der DDR gehören genauso zu seinem Repertoire wie Konzerte in Israel oder die Städtepartnerschaft von Frankfurt/Oder und Kadima in Israel. Und diesmal wollte er ein Turnier gegen beide Nationalmannschaften im Vatikan erleben. Es klappte. Er organisierte weibliche Verstärkung. Und so fuhren im Juni 2023 eine Damen- und eine Herrenmannschaft im Namen des KSV Johannisthal zum Hinspiel nach Rom. Mit dabei war die DOMRADIO-Hörerin Franka T., die im FV Bonn-Endenich spielt. Für das diesjährige Rückspiel in Berlin fragte sie ihre Mitspielerinnen, ob sie Interesse hätten, in Berlin gegen die Frauen-Fußballnationalmannschaft des Vatikan anzutreten. Und sie wollten.
Lebhaftes Spiel
Und so kommt es, dass an diesem frischen, aber sonnigen Herbstnachmittag neben der Reihe der Vatikan-Spielerinnen in Gelb eine Reihe Spielerinnen im schwarz-weißen KSV Johannisthal-Trikot stehen und aus voller Kehle die deutsche Nationalhymne mitsingen. Und weil die vatikanische Damenmannschaft nicht genügend Spielerinnen mitbringen konnte, stehen zwei "Bonnerinnen" auf der Seite der Vatikan-Damen, um die gegnerische Mannschaft zu verstärken. Es ist schließlich ein Freundschaftsspiel.
Trotzdem wird es nach dem Anpfiff schnell lebhaft auf dem Platz. Die Spielerinnen im KSV Johannisthal-Trikot, auf dem Rücken ein Ausschnitt von Michelangelos Fingerzeig Gottes, zeigen sich inspiriert und motiviert. Aber auch die Kickerinnen aus dem Vatikan halten mit.
Die Kapitänin der vatikanischen Nationalmannschaft, Claudia Bassetti mit der Nummer 8, verteilt im Mittelfeld unermüdlich den Ball. Sie ist eine energische Spielmacherin, die schon seit Gründung der Frauennationalmannschaft im Jahr 2017 die Kapitänsbinde trägt.
Außerhalb der Vatikanmannschaft pfeift sie Spiele in Rom als Schiedsrichterin. Nur weil ihr Bruder im Vatikan arbeitet, darf sie Teil der vatikanischen Frauen-Fußballmannschaft sein. Jede Spielerin braucht eine persönliche Verbindung in den Vatikan. Entweder eine Arbeitsstelle, einen Ehemann oder Verwandte, die Vatikanangehörige sind.
Gott durch Fußball nahebringen
Schwester Livia lebt und arbeitet als Teil ihrer Ordensgemeinschaft im Vatikan. Als die Frauen-Nationalmannschaft gegründet wurde, musste sie ihre Oberin um Erlaubnis fragen. Die hatte erfreulicherweise nichts gegen eine kickende Ordensschwester. Und so ging für Schwester Livia ein Herzenswunsch in Erfüllung.
Schon in ihrer Kindheit in einer kleinen Stadt bei Bari spielte Livia Angelillis Fußball. Ihr Bruder hatte sie mit seiner Fußballbegeisterung angesteckt. Livia war talentiert, spielte im Verein, aber eine berufliche Perspektive gab es im Frauenfußball damals noch nicht.
Heute kann sie ihre Berufung und den Fußball problemlos in Einklang bringen. Denn ihr Orden hat sich der Evangelisierung verschrieben. Und nicht nur durch Zeitungen und das Internet, sondern auch durch den Fußball lassen sich Menschen erreichen.
Erzbischof Heiner Koch begrüßt die Fußballerinnen
Das hatte sich schon am Vortag gezeigt, als die Spielerinnen und Spieler aus dem Vatikan ein straffes Sightseeing-Programm durch Berlin absolvierten. Ob beim Eintrag ins Goldene Buch im Rathaus von Treptow-Köpenick, in der Medienzentrale im Axel Springer Haus, im Bundestag, am Brandenburger Tor oder im KaDeWe – überall wo die Spielerinnen und Spieler in ihrer schwarz-gelben Vatikanmontur mit Vatikan-Emblem auftauchten, gab es ähnliche Reaktionen.
Erst ein Stutzen und dann ungläubiges Staunen, dass es sowas wie eine vatikanische Fußballmannschaft überhaupt gibt. Und dann auch noch eine Frauenmannschaft! "Das sind die aus dem Vatikan", raunten sich die hartgesottenen Journalisten im Axel Springer Haus zu. Ein junger Ordner im Bundestag brachte nur ein erstauntes "Ey, Alter…!" heraus, als er erkannte, dass da in schwarz-gelb keine Abordnung von Borussia Dortmund an ihm vorbeizog, sondern zwei Vatikanmannschaften.
Am Brandenburger Tor liefen die Handy-Kameras der Touristen heiß, als Erzbischof Heiner Koch die Mannschaft vor historischer Kulisse begrüßte und einen römischen Rosenkranz in Empfang nahm. Und beim Sektempfang im KaDeWe mit Original Berliner Currywurst schenkte ein italienischer Kellner aus Neapel aus lauter Begeisterung fast im Sekundentakt Prosecco nach, um sich mit den "Vaticanis" zu unterhalten. Denn auch jenseits der "Exotik" kam die freundliche und zugewandte Art der Spielerinnen und Spieler an.
Glaube und Sport gehören zusammen
"Es geht uns um mehr als nur um Sport", meint dazu Monsignore Dario Edoardo Vignola am Rand des Käthe-Tucholla-Stadions, mit Blick auf das Spielfeld. Seit vier Jahren ist er der geistliche Begleiter der beiden Vatikan-Fußballmannschaften. Er besucht sie beim Training, ist auf Auswärtsspielen dabei, hat immer ein offenes Ohr und hat – wie gewohnt – auch vor diesem Spiel mit der Gruppe eine Messe gefeiert.
Ein Zimmer im Hotel, mehr braucht es nicht dafür. Glaube und Sport gehören für ihn zusammen. "Papst Franziskus sagt, dass der Sport uns die Regeln der Kommunikation beibringt. Fairplay zum Beispiel und füreinander da sein. Und gleichzeitig ist der Sport eine Chance zur Verbrüderung, zur Freundschaft über den Sport hinaus."
3:0 Endstand
Das ist auch gut so, denn sportlich läuft es auf dem Platz gerade nicht so rund für die Kickerinnen aus dem Vatikan. In der 15. Minute fällt das 1:0 für den KSV Johannisthal, das 2:0 folgt in der 40. Minute und kurz drauf das 3:0. Endstand. Die Frauen aus dem Vatikan haben verloren.
Schwester Livia hat einen Großteil des Spiels vom Rand aus verfolgt. Sie war schon nach 10 Minuten ausgewechselt worden. "Ich hatte gerade Urlaub und konnte nicht mittrainieren", entschuldigt sie sich lachend. "Außerdem habe ich nach dem Besuch bei meiner Familie ein paar Kilo zu viel drauf."
Aber sie ist zufrieden mit dem Ergebnis, genauso wie ihr Trainer Gianfranco Guadagnoli. "Die Frauen konnten nach der Sommerpause nur dreimal trainieren, immer dienstags von 20 bis 21 Uhr. Einige Frauen sind ganz neu in der Mannschaft und sie haben auch Berufe und Familien. Wichtig ist vor allem, dass sie den freundschaftlichen Geist im Sinne von Papst Franziskus transportieren. Und das tun sie."
Live-Übertragung des Spiels
Es scheint keine schlechte Idee, Fußball und Glaube zu verbinden, denn auch wenn sich beim KSV Johannisthal keine Profimannschaften begegnen, der Name "Vatikan" zieht. Eine ganze Reihe von Medienvertretern hat sich auf den Weg in das Käthe-Tucholla-Stadion gemacht. Welt-TV überträgt das komplette Spiel der Herrenmannschaften, das der KSV Johannisthal mit 3:2 für sich entscheiden kann, sogar live. Die BZ titelt launig: "Balleluja! Johannisthal schlägt Nationalmannschaft des Vatikans."
Und wenn eine Aktion zeigt, welcher Geist diese Spiele umweht, dann ist das ein Überraschung-Coup nach dem Abpfiff des Frauenspiels: Das Publikum reibt sich erstaunt die Augen, als die Vatikanspielerinnen sich unter großem Gejohle die gelben Trikots über den Kopf ziehen. Trikottausch? Nein – eine besondere Botschaft. Denn "drunter" tragen die Spielerinnen alle ein weißes Shirt.
Eine riesige 50 ist auf den Rücken gemalt und darüber ein Name – Livia. Denn die Ordensschwester feiert Geburtstag. 50 Jahre, ein halbes Jahrhundert wird sie alt. Und bevor sie unter den Umarmungen und Gratulationen im Pulk ihrer Mannschaftskolleginnen verschwindet, lacht die Nummer 7 strahlend in die Menge. Denn gewinnen oder nicht – der Zusammenhalt gehört zur Liturgie des Fußballs.