"Das sind keine guten Entwicklungen, sondern Grund zur Sorge für jeden", sagte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin nach Angaben von Radio Vatikan über die Verhaftungswelle in der Türkei nach dem gescheitereten Puschversuch. "Wir hoffen, dass Klugheit und Menschlichkeit siegen werden und den Menschen helfen, die richtigen Lösungen zu suchen und zu finden", betonte Parolin bei der Verabschiedung des langjährigen Präsidenten des päpstlichen Medienrats, Erzbischof Claudio Maria Celli.
Bereits in den vergangenen Tagen hatte der Kardinalstaatssekretär gefordert, Lösungen für die Krise in der Türkei müssten im Respekt vor den Menschen und ihrer Würde gesucht werden: "Andernfalls erleben wir immer wieder solche Situationen des Hasses, der Gewalt und der Entzweiung." Parolin bekleidet nach dem Papst das zweitwichtigste Amt im Vatikanstaat und ist Leiter der Diplomatie des Heiligen Stuhls.
Türkischstämmige NRW-Abgeordnete rufen zu Gewaltverzicht auf
Unterdessen haben Düsseldorfer Landtagsabgeordnete mit türkischen Wurzeln nach dem gescheiterten Putschversuch die türkischen Mitbürger zu Gewaltverzicht aufgerufen. Wenn Andersdenkende bedroht, beschimpft oder angegriffen werden, "ist definitiv eine rote Linie überschritten", erklärten fünf türkischstämmige Abgeordnete von SPD, Grünen und CDU in einem am Donnerstag veröffentlichten Appell. Diese Gewalt und dieser Hass werde nicht geduldet. Diejenigen, die sich vom friedlichen Meinungsaustausch verabschiedet hätten, müssten strafrechtlich belangt werden. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland verurteilte zudem zunehmenden Hass in den sozialen Medien gegenüber Andersdenkender.
Sie seien beunruhigt, dass der Riss der türkischen Gesellschaft auch unter türkischstämmigen Menschen in Nordrhein-Westfalen vorhanden sei, schreiben die Abgeordneten weiter. "Als Abgeordnete mit Wurzeln in der Türkei können wir nachempfinden, dass die türkeistämmige Community in Deutschland sehr aufgewühlt ist." Alle hätten Familie, Freunde und Bekannte in der Türkei. Es sei verständlich, dass viele an unterschiedlichen Demonstrationen teilnehmen würden, um ihre Solidarität mit den Menschen in der Türkei zu zeigen. Die hiesige türkische Gemeinschaft müsse jedoch Abstand von Aktionen zu nehmen, die in Gewalt jeglicher Art umschlagen könne.
Scharfe Kritik an Angriff auf ein Jugendzentrum
Die türkischstämmigen Politiker verurteilten einen Angriff auf ein Jugendzentrum in Gelsenkirchen am Samstag, das der Gülen-Bewegung nahestehen soll. "Integration bedeute auch, dass sich alle an die Spielregeln des Grundgesetzes halten", erklärten die Landespolitiker. Unterzeichner des über Twitter veröffentlichten Appells sind die grünen Abgeordneten Ali Bas und Arif Ünal, Ibrahim Yetim und Serdar Yüksel (beide SPD) und Serap Güler (CDU).
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) warnte vor einer aufgeheizten Stimmung unter den Türken in Deutschland. Die aufgebrachten Diskussionen und Auseinandersetzungen bis hin zur gegenseitigen Denunziationen in den Medien und sozialen Netzwerken müssten beendet werden, sagte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek am Donnerstag in Berlin. "Wir fordern jegliche Rädelsführer auf, die Sprache des Hasses und der Gewalt sofort einzustellen", erklärte Mazyek. Jetzt sei nicht die Zeit, alte Rechnungen zu begleichen, sondern die Gräben zuzuschütten.
Grabenkämpfe vermeiden
Der Streit dürfe in Deutschland nicht weiter eskalieren, forderte der Vorsitzende des in Köln ansässigen Verbandes. Der ZMD werde alles in seiner Macht Stehende tun, damit der gesellschaftliche Frieden gewahrt werde. "Wir werden uns weiterhin aus der Warte der deutschen Muslime für die Demokratie in der Türkei aussprechen und diese unterstützen und uns nicht in Grabenkämpfe verwickeln lassen", erklärte Mazyek.
Am 15. Juli hatten in der Türkei Teile der Armee einen Umsturzversuch gestartet, den die Regierung in Ankara am nächsten Tag für gescheitert erklärte. Mehr als 260 Menschen wurden getötet, im Anschluss wurden Tausende Menschen festgenommen. Präsident Recep Tayyip Erdogan macht für den Putschversuch die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen verantwortlich.