Vatikan verurteilt erstmals einen Kardinal zu Haftstrafe

Muss Becciu wirklich ins Gefängnis?

Nach über zwei Jahren Prozess wurde der Kurienkardinal Giovanni Angelo Becciu wegen Finanzverbrechen zu einer Haftstrafe verurteilt. Ob er die Strafe antreten muss, bleibt noch fraglich. Das zeigt ein Blick in die Vergangenheit.

Autor/in:
Renardo Schlegelmilch
Giovanni Angelo Becciu / © Paul Haring (KNA)
Giovanni Angelo Becciu / © Paul Haring ( KNA )

Dass ein Kardinal ins Gefängnis geht, gab es so gut wie noch nie. In der jüngeren Vergangenheit haben die Missbrauchsprozesse rund um den Amerikaner Theodor McCarrick und den Australier George Pell für Aufsehen gesorgt. Beiden wurde allerdings in ihren Heimatländern der Prozess gemacht. Dass der Vatikan im hauseigenen Prozess solch ein Urteil fällt, gab es noch nie. Der italienische Kardinal Giovanni Angelo Becciu wurde am Samstagnachmittag zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten und einer Geldstrafe von 8.000 Euro verurteilt. Welche Konsequenzen wird das Urteil haben? Und gibt es Präzedenzfälle?

Der Fall Becchiu macht schon seit Jahren Schlagzeilen.  Als Substitut des Vatikanstaates war der italienische Kardinal einer der höchsten Männer in der Regierung der Vatikanstadt. In dieser Funktion soll er mit dubiosen Finanzgeschäften große Verluste gemacht und dabei seine Familie und Bekannte bereichert haben. 

Zwischen 2014 und 2018 autorisierte er Ausgaben von 250 Millionen Euro für Luxusimmobilien in London, die größtenteils durch Spendengelder aus dem sogenannten "Peterspfennig" gegenfinanziert wurden. Später wurden die Immobilien unter Verlust von mehr als 100 Millionen Euro weiterverkauft. Das Geld wurde durch das Staatssekretariat des Vatikans ausgeglichen.

Bleibt Becciu Kardinal?

Als die Ermittlungen im Jahr 2019 begannen, stellte sich schnell die Frage nach der Zukunft von Becciu. Im September 2020 erbat der Kardinal beim Papst ohne Angabe von Gründen die Entlassung aus all seinen Ämtern und die Rückgabe der Privilegien als Purpurträger. Offiziell aus dem Kardinalsstand wurde er allerdings nicht entlassen. Große Schlagzeilen machte sogar die Geste des Papstes, gemeinsam mit Becciu in seiner Privatwohnung zu Weihnachten Gottesdienst zu feiern. 

Prof. Ralph Rotte, Lehrstuhlinhaber für Internationale Politik, RWTH Aachen / © Universität Aachen (privat)
Prof. Ralph Rotte, Lehrstuhlinhaber für Internationale Politik, RWTH Aachen / © Universität Aachen ( privat )

Im Juli 2021 wurde Becciu und anderen Beteiligten der Prozess gemacht. Das Ungewöhnliche: Nicht in Italien, sondern direkt im Vatikan. Einen Prozess dieser Größenordnung habe es im Kirchenstaat vorab noch nie gegeben, erklärte zu Prozessbeginn Ralph Rotte, Professor für internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Vatikan, im DOMRADIO.DE-Interview. Das läge daran, "dass man zum ersten Mal einen Kardinal vor Gericht stellt und der Heilige Stuhl, der Papst, unter Beweis stellen möchte, dass er tatsächlich in der Lage ist, seinen eigenen Laden selbst in Ordnung zu bringen. Da will man nicht unbedingt auf Hilfe von außen angewiesen sein."

Ist der Vatikan ein Rechtsstaat?

Das funktionierte allerdings des Öfteren mehr schlecht als recht, bemängeln Beobachter. Alleine, dass der Prozess sich nun über mehr als zwei Jahre hingezogen hat, sei ein Zeichen dafür, dass der Vatikan mit der Dimension dieses Prozesses überfordert war. Rotte: "Man braucht auch einen großen organisatorischen Unterbau, gerade von Seiten der Staatsanwaltschaft. Es hat anscheinend eine ganze Reihe von handwerklichen Fehlern gegeben und wir haben auch noch ein paar grundsätzliche Probleme."

Grund genug für die Verteidigung, den Prozess immer wieder in Frage zu stellen. So wurde das Gerichtsverfahren bereits am ersten Prozesstag 2021 vertagt. Die Probleme dahinter seien aber nicht nur formell, es stellen sich auch grundsätzliche Fragen der Rechtmäßigkeit, so die Verteidigung. Wenn der Papst im Vatikan der alleinige Monarch und Machthaber mit allen Rechten ist, kann man dann von einem neutralen Rechtsstaat mit Gewaltenteilung sprechen? 

Berufung bereits angekündigt

Beccius Verteidiger haben bereits Berufung angekündigt, das könnte eine Gelegenheit geben, nicht nur das Urteil, sondern die Rechtmäßigkeit des kompletten Prozesses in Frage zu stellen. Ralph Rotte erklärt die Gedankengänge der Verteidigung: "Man argumentiert, dass der Papst im Vorfeld des Prozesses noch schnell ein paar Gesetze geändert hat. Dementsprechend gibt es auch keine wirkliche Unabhängigkeit des Gerichts, weil - so jedenfalls die Verteidiger - die Richter ja alle auf den Papst eingeschworen sind und nicht die Möglichkeit besteht, im Rahmen einer irgendwie gearteten Gewaltenteilung davon auszugehen, dass dieses Gericht - so zumindest die Auffassung der Verteidiger - hundertprozentig unabhängig ist."

Papst Benedikt XVI. und sein ehemaliger Kammerdiener Paolo Gabriele (Archiv 2012) (KNA)
Papst Benedikt XVI. und sein ehemaliger Kammerdiener Paolo Gabriele (Archiv 2012) / ( KNA )

Diese Vermutung ist vielleicht noch nicht einmal so weit hergeholt. Man erinnere sich an den letzten großen Prozess im Vatikan, den "Vatileaks"-Skandal rund um den Kammerdiener von Benedikt XVI., Paolo Gabriele, der 2011 und 2012 brisante Dokumente seines Dienstherrn an die Öffentlichkeit gebracht haben soll. Am 6. Oktober 2012 wurde Gabriele vom vatikanischen Gericht wegen schweren Diebstahls zu 18 Monaten Haft verurteilt. Antreten musste Gabriele die Haftstrafe in einer Zelle im Vatikan und nicht wie erwartet in Italien. 

Keine drei Monate später aber, zu Weihnachten 2012, erließ Papst Benedikt XVI. Gabriele in seiner Zelle die restliche Haftstrafe. Gabriele konnte noch am gleichen Tag das Gefängnis verlassen. Als alleiniger Machthaber des Vatikanstaates hatte der damalige Papst die volle Autorität dazu.  

Wird Becciu die Strafe antreten müssen?

Ob Giovanni Angelo Becciu seine Haftstrafe ebenfalls in einer vatikanischen Zelle antreten muss, ist noch offen, zumal die Bemühungen auf Berufung nicht ganz aussichtslos sind und das Verfahren sich sicher noch weiter in die Länge ziehen werden. Auch bleibt offen, ob er seinen Titel behalten oder gar ähnlich zu Paolo Gabriele eine Amnestie des Papstes erhalten könnte. 

Trotzdem bleibt dieser Tag historisch und wird auch große Implikationen für den Papst und die Beziehung zu seinen Kardinälen haben, vermutet der italienische Historiker und Vatikanbeobachter Massimo Faggioli in einer ersten Reaktion auf der Plattform X. Er vermutet, dass das fehlende Vertrauen in einen rechtskräftig verurteilten Kardinal Franziskus auch dazu bewegen könnte, die Regeln für das nächste Konklave, die Wahl seines Nachfolgers, zu überdenken. Ob es soweit kommt, steht im Moment in den Sternen. Auf alle Fälle ist das Kapitel des größten Vatikan-Prozesses der Geschichte mit dieser Urteilsverkündung noch lange nicht abgeschlossen.

Kardinalskollegium

Das Kardinalskollegium ist das wichtigste Beratergremium des Papstes. Zudem hat es die Aufgabe, "für die Papstwahl zu sorgen", wie es im Kirchenrecht (Can. 349) heißt. Am Konklave zur Wahl eines neuen Kirchenoberhauptes dürfen nur jene Kardinäle teilnehmen, die das 80. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Der Papst wählt die Kardinäle frei aus. Sie müssen laut Kirchenrecht "wenigstens die Priesterweihe empfangen haben, sich in Glaube, Sitte, Frömmigkeit sowie durch Klugheit in Verwaltungsangelegenheiten auszeichnen; wer noch nicht Bischof ist, muss die Bischofsweihe empfangen".

Auftakt zur Kurienreform: Vollversammlung des Kardinalskollegiums am 12. Februar 2015 / © Cristian Gennari (KNA)
Auftakt zur Kurienreform: Vollversammlung des Kardinalskollegiums am 12. Februar 2015 / © Cristian Gennari ( KNA )
Quelle:
DR