KNA: Herr Erzbischof, welchen Nachhall hat im Libanon die römische Nahost-Bischofssynode vom Herbst 2010?
Caccia: Die Synode war eine Premiere und wurde entsprechend aufmerksam von den Christen der gesamten Region verfolgt. Bilaterale Treffen mit dem Papst gab es schon, aber erstmals hatten die Patriarchen und Bischöfe hier die Gelegenheit, gemeinsam den Papst zu treffen und drei Wochen zusammen zu verbringen. Das hat viel Positives bewirkt. Die Bischöfe sprachen danach von einem neuen Pfingsten, von einer Erfahrung des Geistes, der Brüderlichkeit und des Teilens. Entsprechend herrscht eine freudige Erwartung auf das nachsynodale Schreiben. Die Stimme des Heiligen Vaters hat einen großen Stellenwert im Nahen Osten.
KNA: Und bei den Gläubigen?
Caccia: Die Erwartung ist allgemeiner Natur, auch wenn die Synode und ihre Vorbereitung eher eine Arbeit der Kirchenführung war. Nach der Rückkehr der Bischöfe hat es auf Pfarrei-Ebene viele Konferenzen gegeben, die die Arbeit der Synode vorgestellt haben. Jetzt warten die Gläubigen auf die Schlussfolgerungen. Vor allem wollen sie wissen, wie sie den gegenwärtigen Herausforderungen in der Region begegnen sollen. Denn die Situation im Nahen Osten hat sich seit Herbst 2010 sehr verändert.
KNA: Sie sprechen vom Arabischen Frühling. Welchen Einfluss haben diese Veränderungen auf den Libanon?
Caccia: Die Libanesen beobachten das Geschehen mit großem Interesse, manchmal mit Begeisterung, manchmal mit Sorge. Vor allem dort, wo es zu Gewalt, Ungerechtigkeit und Opfern kommt. Der Libanon basiert auf dem Prinzip der Gewissensfreiheit als einem der fundamentalen Werte der Verfassung. Die Menschen hier haben immer Respekt gegenüber der Vielfalt gehabt.
Der Staat erkennt 19 Religionsgemeinschaften an. Entsprechend gibt es eine Tradition des Teilens, des Miteinanders und der Freiheit.
Alle, die in diese Richtung streben, sind den Libanesen herzlich willkommen, weil sie sehen, dass die libanesische Formel, die auf der Menschenwürde basiert, möglich und erwünscht ist. In diesem Sinne schauen die Menschen hier sehr aufmerksam und solidarisch auf das Geschehen, mit dem Wunsch, dass die Entwicklung in eine Richtung geht, wie sie sich die Mehrheit der Menschen in Nahost wünscht.
KNA: Haben die Christen im Libanon mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie in den Nachbarländern?
Caccia: Was in den Ländern rundherum passiert, hat die Lage im Libanon oder das bestehende Gleichgewicht im Land nicht direkt verändert. Man darf nicht vergessen, dass der Libanon über Jahre hinweg eine Krise erlebt hat, die die verschiedenen Gemeinschaften erschöpft hat. Dies hat die Menschen gelehrt, dass eine Spaltung oder ein Krieg niemanden verschont. Heute erlaubt diese Erfahrung den Libanesen, eine gewisse Distanz zu den Ereignissen zu wahren; zu verstehen, was passiert und gleichzeitig nach Lösungen zu streben, die die negativen Erfahrungen der Geschichte nicht wiederholen. Die Menschen in diesem kleinen Land wollen einen Beitrag zu einer positiven Entwicklung der Situation zu leisten.
KNA: Was erwarten die Menschen vom Besuch des Papstes?
Caccia: Unter den Christen herrscht großer Enthusiasmus, besonders unter den Katholiken, die mit sechs verschiedenen Ritengemeinschaften im Libanon vertreten sind. Aber auch die Nichtchristen teilen die Erwartung. Es herrscht ein großer Respekt vor der Person des Papstes und vor den Christen, die viel für das Land getan haben. Die libanesische Identität entstand aus den Beiträgen der verschiedenen Gruppen, und es gibt große Anstrengungen, gemeinsam etwas Neues zu bauen, das weder den Orient noch den Westen kopiert. Der Libanon ist ein Land, das versucht, Elemente der orientalischen und der westlichen Gesellschaft zu vereinen.
Der Besuch des Heiligen Vaters ist ein starkes Zeichen des Zuspruchs für den libanesischen Weg des Respekts und der gegenseitigen Wertschätzung und für den Geist, der in diesem Land weht. Er zeigt, dass ein Miteinander möglich und bereits realisiert ist. Trotz aller Schwierigkeiten, die es zu jeder Zeit im Libanon gab, zeigt das Land, dass es eine Alternative zum "Clash" der Kulturen gibt und dass Dialog und Zusammenleben möglich sind, wenn man nur ernsthaft danach sucht.
KNA: Nach dem sehr charismatischen Johannes Paul II. kommt mit Benedikt XVI. nun ein Papst, dem man eine eher akademische Haltung nachsagt.
Caccia: Viele Menschen erinnern sich noch an Johannes Paul II., der eine bemerkenswerte Spur im Libanon hinterlassen hat. Bei seinem Besuch 1997 sagte er, der Libanon sei kein Land, sondern eine Botschaft der Freiheit, des Respekts und des Zusammenlebens für Orient und Okzident. Er hat damit die Berufung dieses kleinen Landes im großen Ganzen der Länder rundherum hervorgehoben.
Jetzt kommt mit Benedikt XVI. eine andere Person, ein neuer Nachfolger Petri. Der Orient hat eine sehr junge Gesellschaft. Viele junge Christen kennen nur Benedikt XVI. und schätzen ihn als den Papst ihrer Jugend. Und schließlich unterstreicht der Besuch den Stellenwert, den der Papst den Menschen dieser Region beimisst. Benedikt XVI. hat bereits verschiedene Länder der Region bereist, und er hat die Sondersynode einberufen. Diese Haltung des Respekts, des Interesses und der Liebe für den Nahen Osten wird von den Menschen mit Respekt und Liebe für den Heiligen Vater beantwortet.
Das Interview führte Andrea Krogmann.
Hintergrund
Vatikanbotschafter Caccia zu den Erwartungen an den Papstbesuch
"Der Libanon ist die Alternative zum 'Clash' der Kulturen"
Mitte September reist Papst Benedikt XVI. in den Libanon. Der Vatikanbotschafter im Land, Erzbischof Gabriele Caccia, spricht im Interview über die Erwartungen an den Papstbesuch. Benedikt XVI. komme in einer Zeit großer Umbrüche im Nahen Osten, die im Libanon aufmerksam und mit Besorgnis verfolgt würden.
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