Vatikanexperte sieht große Fortschritte unter Franziskus

"Da kann man nicht mehr hinter zurückgehen"

Am Mittwoch ist Franziskus elf Jahre Papst. Trotz der Kritik an seinen Ukraine-Äußerungen glaubt Vatikanexperte Marco Politi, dass Franziskus an seiner spontanen Art festhält und auch mit angekratzter Gesundheit noch einiges vor hat.

Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Vergangene Woche wurde viel über die Gesundheit des Papstes spekuliert. Dann, am Freitag, zeigte er sich auf einmal gut erholt, hielt eine lange Predigt und wirkte viel fitter als zuvor. Ist das ein bisschen symptomatisch, dass Papst Franziskus immer wieder überrascht und absolut unberechenbar bleibt?

Marco Politi, Journalist und Vatikanexperte (privat)
Marco Politi, Journalist und Vatikanexperte / ( privat )

Marco Politi (Vatikanexperte und Buchautor): Ja, ganz bestimmt. Was die Gesundheit anbetrifft, geht es ihm manchmal schlecht, dann wieder geht es ihm gut. Im Großen und Ganzen hat er keine großen gesundheitliche Probleme. Wir kennen dieses Problem mit den Gelenken und er hat das Problem mit den Bronchien. Da muss man immer aufpassen, dass es nicht zu einer Lungenentzündung kommt. Aber im Großen und Ganzen marschiert der Papst weiter in seiner Mission. 

Marco Politi

"Aber im Großen und Ganzen marschiert der Papst weiter in seiner Mission." 

DOMRADIO.DE: Im Moment ist der Papst allerdings noch mehr in den Schlagzeilen als gewöhnlich. Das liegt an seinem Interview zur Ukraine. Das sorgt auch in Deutschland für teilweise heftige Reaktionen. Dass ein Papst ein Interview gibt, ist ja gar nicht so ungewöhnlich. Das gab es schon unter Benedikt. Doch Franziskus gibt recht viele Interviews und er liebt die freie, spontane Rede. Das scheint im Moment eher eine Schwäche zu sein, oder? 

Politi: Einerseits ist ganz klar, dass er überhaupt keine Probleme hat, mit Journalisten zu sprechen, indem er vor allem im Fernsehen sehr viele Interviews gibt. Und er liebt die spontane Rede. Manchmal ist diese Art sehr treffend. Zum Beispiel, wenn er sagt: "Wer bin ich, um ein Urteil über einen Homosexuellen zu fällen." Dann will der Papst in eine neue Richtung zeigen. Es hat sich in den Jahren danach gezeigt, dass es eine Öffnung den Homosexuellen gegenüber und das Ende der Dämonisierung der Homosexualität gab. 

Aber das Ukraine-Interview vorige Woche war ein Schnitzer. Das passiert ihm manchmal, das muss man ganz klar sagen. Da gibt es einige Beispiele in seiner Amtszeit. In diesem Fall war es unbesonnen von einer "Weißen Fahne" zu reden. 

Marco Politi

"In diesem Fall war es unbesonnen von einer weißen Fahne zu reden."

Ich habe aber auch gemerkt, dass die Reaktion von ukrainischer Seite kritisch war, aber nicht aggressiv wie in den vorigen zwei Jahren. Niemand hat sozusagen persönlich den Papst beleidigt, was schon mal im Jahr 2022 oder 2023 passiert ist. Das bedeutet, dass man doch international sieht, dass die Situation sehr heikel ist. 

Aber die Strategie des Papstes ist in diesem Sinn sehr klar. Sie gefällt den NATO-Angehörigen nicht, aber sie ist auf derselben Welle wie der größte Teil der Welt, vor allem, wenn man an den globalen Süden denkt. Der Papst ist der Meinung, dass man diesen Krieg hätte vermeiden können. Es war nicht nötig, dass die NATO auch die Ukraine einbezieht und bis an die Tore Russlands kommt. Man kann diesen Krieg auch zu einem Ende bringen, indem man anfängt, darüber zu diskutieren, ob man Verhandlungen macht. 

Zerstörte Kirche in Kiseliwka, Ukraine / © Bernhard Clasen (KNA)
Zerstörte Kirche in Kiseliwka, Ukraine / © Bernhard Clasen ( KNA )

In den USA gibt es aktuell zum Beispiel eine sehr große Diskussion darüber. Die renommierte Wochenzeitschrift "Foreign Affairs", also "Auswärtige Angelegenheiten" hatte vor ein paar Tagen einen brillanten Artikel, der sagt: Man muss anfangen zu sprechen, zu diskutieren und zu darüber nachzudenken, wie man dazu kommt, dass man sich an einen gemeinsamen Tisch setzt.

Das gefällt natürlich nicht dem Teil der europäischen Staaten, die aus historischen Gründen ein schwieriges Verhältnis zu Russland haben. Aber wir wissen auch, dass ein großer Teil der öffentlichen Meinung in Europa, in Italien, in Amerika keine Lust hat, weiter in einem Zermürbungskrieg ökonomisch zu verbluten. In diesem Sinn ist der Papst sozusagen mit seiner Politik klarsichtig. 

DOMRADIO.DE: Vor genau einem Jahr war er zehn Jahre im Amt. Jetzt, in dem einen Jahr ist unglaublich viel passiert. Da war das Schreiben "Fiducia supplicans", das auch gleichgeschlechtlichen und geschiedenen Paaren einen außergottesdienstlichen Segen ermöglicht. Das hat besonders sehr konservative Kritiker aufgeregt. Auf der anderen Seite gab es die Stoppschilder für den Synodalen Weg in Deutschland. Dann sprach der Papst auch wieder von einer "Genderideologie", die eine Bedrohung sei. Bleibt es auch elf Jahre nach der Wahl so, dass Franziskus manchmal wie ein Reformer wirkt und dann doch wieder sehr autoritär erscheint? 

Politi: Das Problem ist, dass viele Gläubige sich vorstellen, dass die Kirche immer noch eine absolute Monarchie ist, in der der Papst alles entscheiden kann. Aber in Wirklichkeit hat sich in der Kirche ein Bürgerkrieg entwickelt. Das haben wir in diesen Jahren unter Franziskus gesehen. Die konservativen Kräfte wollen die Reformen nicht. Die Reformkräfte sind nicht stark genug. Es gibt eine große Mitte, die unentschieden ist, die Angst hat und die vor Neuerungen zurückschreckt. 

Marco Politi

"Aber in Wirklichkeit, und das haben wir in diesen Jahren unter Franziskus gesehen, hat sich in der Kirche ein Bürgerkrieg entwickelt."

Deswegen kann der Papst nur dann Entscheidungen treffen, wenn er dafür manchmal auch einen Zickzackkurs fährt. Oder wenn er fühlt, dass die Mehrheit der Gläubigen und der Bischöfe auf seiner Seite sind. Ein Beispiel: Es hat in den ersten Synoden seiner Amtszeit zu den Familien keine klare Entscheidung gegeben, dass man die Kommunion empfangen darf, wenn man geschieden und wiederverheiratet ist. 

Vorstellung von "Amoris laetitia" / © Cristian Gennari (KNA)
Vorstellung von "Amoris laetitia" / © Cristian Gennari ( KNA )

Das hat der Papst dann in seinem postsynodalen Schreiben "Amoris laetitia" in einer Fußnote ein bisschen angedeutet. Es hat sich dann eingebürgert, dass der Kommunionempfang möglich ist - mit diesem kleinen "politischen" Trick. Denn die große Mehrheit der Gläubigen und die große Mehrheit auch der Bischöfe war damit einverstanden. 

Aber nach der Amazonassynode, in der es darum ging, ob es möglich ist, dass verheiratete Männer in der lateinisch-katholischen Kirche Priester sind, haben wir gesehen, dass es diese Revolte von konservativen Kardinälen gegeben hat. Da musste der Papst sozusagen still stehen und hat die "viri probati", also die verheirateten, bewährten Männer, die zu Priestern geweiht werden könnten, nicht eingeführt. 

Was den Synodalen Weg in Deutschland betrifft, muss man nicht nur auf Rom schauen, sondern auf die anderen Bischofskonferenzen. Man hat nicht gesehen, dass es in der Weltkirche eine Welle der Solidarität für die deutsche Kirche gab. Deswegen versucht Franziskus, alles irgendwie zusammenzuhalten. Das bedeutet, dass er manchmal vorangeht und manchmal stoppen muss. 

DOMRADIO.DE: Hat denn Papst Franziskus die Kirche in den insgesamt elf Jahren tatsächlich verändert oder ist vieles davon nur Kosmetik und an der Oberfläche geblieben? 

Politi: Nein, man kann nicht von Kosmetik sprechen. Ich glaube, er hat sehr viele Baustellen eröffnet. Erstens hat er sehr viel Sauberkeit in die Vatikanbank gebracht. Das war schon etwas, was die Kardinäle im letzten Konklave wollten, dass man da endlich mit einem unglaublichen schlechten Management aufhört. Das hat er getan. 

Zweitens hat er auch sehr strenge Richtlinien und Dekrete verabschiedet, um Missbrauch zu bekämpfen. Da sieht man zum Beispiel, was der Papst tut und was die Bischofskonferenzen nicht tun oder nur manchmal tun. 

Er ist zum Beispiel der erste Papst, der ganz am Anfang seines Pontifikats einem Nuntius, einem Erzbischof, den Prozess gemacht hat. Das war damals Nuntius Josef Wesolowski in Santo Domingo in der Dominikanischen Republik. Dort gab es einen kanonischen Prozess, weil er Missbrauch begangen hat. Am Ende dieses Prozesses war Wesolowski weder Bischof noch Priester. 

Theodore McCarrick / © J. Scott Applewhite (dpa)
Theodore McCarrick / © J. Scott Applewhite ( dpa )

Kardinal McCarrick wurde von dem Kardinalskollegium entfernt und man hat ihm auch wegen Missbrauch den Prozess gemacht. Kardinal O'Brien in Schottland durfte schon damals nicht zum Konklave, denn er hatte Beziehungen nicht mit Minderjährigen, aber zu Seminaristen. Er wurde auch von Papst Franziskus aus dem Kardinalskollegium entfernt. Viele Bischöfe haben wegen Missbrauchs oder dem falschen Umgang damit unter Franziskus ihren Posten verloren. 

Aber gleichzeitig sehen wir, dass nur wenig Bischofskonferenzen angefangen haben, seriös das Thema Missbrauch anzugehen, wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten, in Deutschland, in England, in der Schweiz oder in Österreich. 

In Italien aber hat es beispielsweise noch nicht eine Recherche, einen systematischen Bericht gegeben, wie wir das in Deutschland erlebt haben, wo das in den vergangenen Jahrzehnte genau untersucht wurde. Es hängt wieder einmal davon ab, wie sich die Teilkirchen bewegen. Aber die Richtung hat Franziskus auch mit Taten gezeigt. Da kann man nicht mehr hinter zurückgehen. 

DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie vom Papst in der näheren Zukunft? Glauben Sie noch an große Veränderungen?

Politi: Wenn man jetzt auf die Zukunft schaut, muss man sagen, dass es eine ganz große Revolution war, dass bei der letzten Weltsynode 2023 Frauen abstimmen konnten. 

Beratungen bei der Weltsynode / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Beratungen bei der Weltsynode / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Es war das erste Mal in 1700 Jahren, dass Frauen an einer Synode teilnehmen und abstimmen konnten. Manchmal hat man den Eindruck, dass die öffentliche Meinung sich zu schnell an Neuerungen gewöhnt. Aber das war doch eine große Wende. Ähnlich wie es in Europa eine Revolution gewesen war, als Frauen in die Parlamente gewählt wurden, war es das bei der letzten Weltsynode, dass Frauen sozusagen in das Parlament der Bischöfe kamen und abstimmen konnten. 

Wir wissen, dass der Papst immer noch weiter über die Frauenfrage nachdenkt, etwa bei der Sitzung des Kardinalsrates, der ja den Papst berät. Bei der letzten Sitzung diskutierte man dort wieder, was der Platz der Frauen ist. Was kann und muss der Platz der Frauen in der Kirche sein?

Jetzt hängt es ganz demokratisch davon ab, wie die Mehrheit der Mitglieder bei der nächsten Synodensitzung im Oktober dieses Jahres abstimmen werden, wenn es um die Frage nach dem Frauen-Diakonat geht. Das hängt dann von den Teilkirchen ab. 

Das Interview führte Mathias Peter.

Wichtige Stationen aus zehn Jahren Papst Franziskus

Franziskus ist der erste Papst der Kirchengeschichte aus Lateinamerika. Seine Wahl löste vor zehn Jahren weltweit einen regelrechten Papst-Hype aus. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) zeichnet die zentralen Stationen seiner bisherigen Amtszeit nach:

2013

Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR