DOMRADIO.DE: Sie haben selbst sechs Kinder. Warum gibt es denn immer noch Paare, die viele Kinder haben wollen?
Dr. Elisabeth Müller (Bundesvorsitzende des Verbandes kinderreicher Familien Deutschland): Ich selber bin tatsächlich Mutter von sechs Kindern, bin sehr glücklich und dankbar für diese große Familie. Es ist eine große Bereicherung, Kinder begleiten zu dürfen, zu sehen, wie sie größer werden, was sie alles machen. Es ist immer wieder eine wunderbare Sache. Man spricht viel über Hobbys und das ist so eine tiefe, sinnerfüllende Arbeit. Ich würde mich jeden Tag wieder für diese schöne Erfahrung entscheiden.
DOMRADIO.DE: Schauen wir auf den Einbruch der Geburtenrate. Klar, da war Corona, wir haben den Krieg gegen die Ukraine, eine starke Inflation, hohe Energiekosten und so weiter. Aber sind das für Sie nachvollziehbare Gründe für diesen Einbruch?
Müller: Ich glaube, im Augenblick sprechen wir viel von Zukunftsängsten, von Ängsten bezüglich des Planeten. Und wir sprechen viel zu wenig darüber, dass unsere Kinder die Zukunft und eine sinnerfüllende Freude bedeuten. Man spricht viel zu sehr über die Lasten, die natürlich da sind. Das sind schon große finanzielle Herausforderungen.
Es ist eine Menge Arbeit, da muss man sich keine Illusionen machen. Es ist keine Wertschätzung da in der Gesellschaft, dafür, dass man Kinder bekommt oder sogar mehrere Kinder bekommt. Junge Paare haben nicht die Sicherheit, dass sie ihr Kind in Kitas oder ähnliches abgeben können, viele Frauen wollen ja berufstätig sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Kind gut abgeben können in eine Betreuung, ist ja auch sehr gesunken. Und ich glaube, das zehrt an der Entscheidung, mehrere Kinder zu bekommen.
DOMRADIO.DE: Sie haben ja jetzt eben schon ein paar Punkte angesprochen, nämlich dass es zu wenig Kitaplätze gibt. Generell seien die Kosten für die Kindererziehung zu hoch. Einiges ist ja passiert, zum Beispiel die Einführung des Elterngeldes vor etwa über zehn Jahren. Hat in Ihren Augen die Politik da ihre Hausaufgaben zu wenig gemacht, trotz dieser Bemühungen?
Müller: Ich glaube, wenn man Umfragen anschaut und auch die Gesellschaft, zeigt sich, dass kinderreiche Familien schräg angeschaut werden. Nicht, wenn man sie selber erlebt, weil man immer wieder ein positives Erlebnis hat, wenn man kinderreiche Familien sieht. Aber in den Umfragen werden kinderreiche Familien mit drei oder mehr Kindern eher als asozial gesehen. Da müssen wir uns alle in der Gesellschaft an die Nase packen und sehen, dass Familien die Zukunft sind.
Die Politik hat ja tatsächlich jetzt das Kindergeld ab dem dritten Kind nivelliert. Ich glaube, das war kein gutes Zeichen für die kinderreichen Familien. Die Belastung ist jetzt schon enorm gestiegen, auch durch die Inflation. Gerade für Lebensmittel, da wurde überhaupt nicht gegengesteuert. Das sind schon Fehler, die gemacht wurden.
Es gibt wenig bezahlbaren Wohnraum, es gibt diese schlechte Betreuung, die hatte ich ja schon erwähnt. Das sind alles Punkte, wo man mehr machen kann für die Familien. Am wichtigsten ist, glaube ich, die Wertschätzung und die Wahrnehmung, dass das für die Gesellschaft eine wichtige Leistung ist, mehrere Kinder zu bekommen.
DOMRADIO.DE: Dass wieder mehr Kinder geboren werden, kann nicht nur Aufgabe der Politik sein. Haben Sie Erwartungen an andere Akteure, zum Beispiel an die christlichen Kirchen? Tun die genug, um junge Paare zu ermuntern, Kinder zu bekommen?
Müller: Das ist eine spannende Frage. Ich glaube, man kann das sicherlich auch alleine durch Bilder vermitteln. Wenn man Bilder auswählt, die man in der Kirche benutzt, könnte man auch häufiger Bilder mit drei Kindern auswählen. Kinderreiche Familien kommen ja in der Öffentlichkeit kaum vor. Obwohl jedes dritte Kind in einer kinderreichen Familie aufwächst, sieht man diese Familien auf Bildern kaum.
Wir haben immer noch diese Norm von zwei Kindern oder nur einem Kind. Aber schon alleine zu zeigen, dass es normal ist, drei Kinder zu haben, würde schon viel mehr ins Bewusstsein bringen, dass es auch eine Möglichkeit ist, drei oder mehr Kinder zu bekommen. Und ich selber kann immer nur sagen, es ist eine wunderbare Entscheidung und ich würde sie jederzeit wieder treffen.
Das Interview führte Mathias Peter.