DOMRADIO.DE: In der gemeinsamen Erklärung haben Sie begrüßt, dass Kardinal Woelki dem Papst seinen Amtsverzicht angeboten hat. Inwiefern kann das der Kirche helfen?
Oediger-Spinrath (Sprecherin des Berufsverbands der Pastoralreferentinnen und -referenten): Wir haben bewusst gesagt, dass es helfen kann. Ich glaube, man muss hier zwischen inhaltlichen, persönlichen und auch politischen Gründen für einen Amtsverzicht unterscheiden. Ich verstehe, dass der Kardinal nochmal eine neue Chance haben möchte. Wenn er im Amt bleibt, werden wir diese sicher auch nutzen. Aber auf der anderen Seite haben wir ihn als Seelsorgende natürlich auch schon viele Jahre erlebt und erfahren, wie er Leitungs- und Verantwortungsämter wahrnimmt.
Wir sind immer wieder aneinandergeraten und haben viele Defizite erlebt, zum Beispiel dass vieles allein entschieden wurde und immer noch wird. Dass die Seelsorger und Seelsorgerinnen und auch die Gläubigen in unseren Augen zu wenig in Entscheidungen einbezogen werden. Es geht ja, wenn überhaupt, immer nur um Beratung. Es gab Entscheidungen in der Vergangenheit, bei denen wir anderer Ansicht waren. Wo wir Notwendigkeiten sehen, was getan werden müsste, damit Kirche im 21. Jahrhundert überhaupt noch glaubwürdig und zukunftsfähig bleibt. Insofern begrüßen wir, dass er seinen Amtsverzicht anbietet, weil das vielleicht wirklich eine Möglichkeit wäre, noch einmal neu zu beginnen. Die Situation im Moment ist festgefahren.
DOMRADIO.DE: Wollen Sie mit dem Kardinal über einen möglichen Amtsverzicht sprechen oder was ist das vorrangige Anliegen?
Oediger-Spinrath: Wir sind einfach auf seinen Brief eingegangen. Er hat gesagt, er wäre interessiert daran, die Beweggründe zu hören, die zu Standpunkten und Einsichten unsererseits geführt haben. Er will mit vielen Menschen ins Gespräch gehen und wir haben ihn in unserem Brief die Themen genannt, bei denen wir sagen: Da muss dringend Gespräch und Austausch stattfinden. Es gibt vor allem auch Entscheidungen, die getroffen werden müssen.
Da ist zum Beispiel vorrangig der Umgang mit spirituellem Missbrauch und sexualisierter Gewalt und deren Aufarbeitung. Es ist aber auch die Frage nach Macht. Dass Macht geteilt, begrenzt und kontrolliert werden muss. Dann fragen wir auch nach: Was hat er denn da für Vorstellungen? Er hat ja gesagt, dass er in seiner Auszeit über vieles weiter nachgedacht hat. Da sind wir interessiert zu hören.
Wir erleben, dass wir Partizipation unterschiedlich verstehen. Die Seelsorgerinnen, aber auch die Gläubigen, wollen nicht nur etwas hören und gut kommuniziert bekommen. Es sind nicht nur Kommunikationsdefizite, sondern sie wollen in wichtigen Dingen mitentscheiden. Deshalb sind für uns synodale Strukturen wichtig und deshalb möchten wir, dass der Synodale Weg von unserem Bistum mit unterstützt wird. Damit Beschlüsse gefasst werden, die auch mitgetragen werden.
Und als letzten Punkt haben wir als Thema unseren Beitrag zur Grundordnung nach der #OutinChurch-Inititative genannt, nach dem Outing von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Menschen der queeren Bewegung. Da finden wir den Vorstoß von vielen Generalvikaren und Bischöfen gut, die Grundordnung zu überdenken und zu verändern oder sogar abzuschaffen.
DOMRADIO.DE: Kommen wir noch mal auf die Veränderung und die Teilhabe an Entscheidungsfindung in der Kirche zu sprechen. Was meinen Sie da konkret, wie das umgesetzt werden kann und wie weit auch diese Partizipation führen sollte?
Oediger-Spinrath: Der Diözesanpastoralrat hat in den letzten Sitzungen mit einer externen Moderation kleine aber wichtige Schritte gemacht. Da wird unterschieden: Wo ist Beratung angesagt, wo ist Diskussion oder Austausch angesagt? Wo ist aber auch Mitentscheidung angesagt? Das zu differenzieren, aber auch Entscheidungsmöglichkeiten aufzuzeigen und durchzuführen, sind erste winzige Schritte, aber sie haben schon gemeinsam mit Weihbischof Steinhäuser das Klima verändert, weil sich bei allen die innere Haltung verändert hat.
Ähnliches kann ich mir auch in vielem anderen vorstellen. Auch ein Diözesanrat als Vertretung aller Pfarrgemeinderäte muss mehr Möglichkeiten der Mitentscheidung haben, auch Verbände oder Vereine. Die Menschen wollen nicht nur informiert werden über das, was besser werden soll – im Sinne einer besseren Kommunikation –, sondern es geht auch darum, dass die Menschen als getaufte und gefirmte Christen und Christinnen zu vielen Themen Wertvolles beitragen können. Neue Perspektiven erweitern den gesamten Blick und können oft bessere Entscheidungen hervorbringen.
DOMRADIO.DE: Jetzt gab es in der vergangenen Woche Kritik am Synodalen Weg von den nordischen Bischöfen, die sagen, man solle nicht dem Zeitgeist nachgeben. Es gebe unveränderliche Teile der Lehre der Kirche. Das haben die Bischöfe in einem offenen Brief geschrieben. Wie sehen Sie das?
Oediger-Spinrath: Es wird schnell gesagt, man gehe dem Zeitgeist nach. Es geht aber gar nicht darum, dass wir dem Zeitgeist nachgehen, sondern es geht darum – und da hat die Theologie an den Universitäten doch schon vieles geleistet – dass wir auch mal sehen, dass katholische Lehre und Tradition aufgrund ganz konkreter historischer Situationen entstanden sind. Selbst die Evangelien sind unterschiedlich, weil sie zu verschiedenen Zeiten in einem anderen Kontext und mit einer etwas veränderten jeweiligen Intention der immer gleichen Botschaft Jesu geschrieben worden sind.
Ich glaube auch, dass wir bei der Lehre schauen müssen – das sieht man gerade bei der Sexualmoral, das hat der leider verstorbene Eberhard Schockenhoff deutlich gemacht –, wie Dogmen entstanden sind. Die sind ja nicht einfach vom Himmel gefallen. Sie sind wohlüberlegt zu einer bestimmten Zeit formuliert worden. Aber ich finde, sie sind nicht ein für alle Mal einfach gültig. Es gibt eine Dogmengeschichte und da müssen wir kritisch hinschauen: Was gibt es für neue theologische Erkenntnisse? Oder auch Erkenntnisse aus der Naturwissenschaft, aus Humanwissenschaften, die uns zu neuen Erkenntnissen führen, von denen wir die Bibel immer wieder besser verstehen können und Dogmen in einzelnen Punkten verändern können.
DOMRADIO.DE: Und das dann am besten beim Synodalen Weg oder auch in der Weltsynode mit einbringen?
Oediger-Spinrath: Ganz genau, das ist auch eine Chance der Weltsynode in Rom und auch des Synodalen Wegs in Deutschland, die ich sehe und die wir sehr begrüßen.
Das Interview führte Florian Helbig.