Am Dienstag werden vor allem Hamburg, München und Berlin nach Karlsruhe blicken. Dort entscheiden die obersten Richter über das von seinen Kritikern häufig als „Herdprämie“ geschmähte Betreuungsgeld. Es geht darum, ob die Familienhilfe für Eltern, die für ihr Kleinkind keine öffentlich geförderte Betreuung in Anspruch nehmen, in der bisherigen Form weiter gezahlt wird oder ob das Bundesverfassungsgericht die Leistung kippt.
Klage des Hamburger Senats
Der Hamburger Senat reichte vor zwei Jahren die Klage ein. Im Kern stellt die Landesregierung die Zuständigkeit des Bundes für die Familienleistung grundsätzlich infrage. Der Bund dürfe auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge nur dann Gesetze erlassen, wenn die Regelung „zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erforderlich“ sei. Bei der mündlichen Verhandlung ließen die Richter im April erkennen, dass sie dieses Argument durchaus für berechtigt halten.
Für ein Betreuungsgeld hatte sich vor allem die CSU eingesetzt: Wenn das Land Zehntausende von Krippenplätzen finanziert, dann müsse auch die Betreuung zu Hause belohnt werden, so die Argumentation der Partei. Im Gegenzug zum Kitaausbau für unter Dreijährige wurde vor acht Jahren unter der Großen Koalition die Einführung eines Betreuungsgeldes beschlossen - nur unter Zähneknirschen der SPD und vieler CDU-Frauen, darunter auch die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU).
Familienministerin Schwesig muss Leistung verteidigen
Auch die damalige Landesministerin Manuela Schwesig (SPD) protestierte dagegen. Als Familienministerin muss sie die neue Leistung nun verteidigen. Genau wie ihr Staatssekretär Ralf Kleindiek (SPD), der als Staatsrat in der Hamburger Justizbehörde die Klage mit vorbereitet hatte.
Schwesig hatte ähnlich wie andere Kritiker bemängelt, dass die Hilfe falsche Anreize setze und die Bemühungen um mehr frühkindliche Bildung konterkariere. Zudem verleite sie Frauen, viel später in ihren Beruf zurückzukehren und damit das Risiko der Altersarmut zu vergrößern.
Caritas für Zusammenführung von Eltern- und Betreuungsgeld
Die Kirchen hatten sich unterschiedlich positioniert: Die evangelische Kirche lehnt die Leistung ab, die katholischen Bischöfe sind für die Familienhilfe. Der Caritasverband forderte eine gezieltere Förderung von Eltern. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, hatte sich in der Vergangenheit für eine Zusammenführung von Elterngeld und Betreuungsgeld ausgesprochen. Auf diese Weise könne eine staatliche Leistung geschaffen werden, die unabhängig vom Einkommen der Familie sei.
Neher plädierte für einen Sockelbeitrag von 300 Euro monatlich über drei Jahre, wobei es auch möglich sein solle, dies mit 900 Euro im Monat auf ein Jahr zu bündeln. Das entspräche dem Durchschnitt des bisherigen Elterngeldes, so Neher.
Für mehr soziale Gerechtigkeit
Neher nannte das Beispiel einer wohlsituierten Familie, die sich ein Au-Pair-Mädchen leisten könne und das Betreuungsgeld erhalte, während eine alleinerziehende Mutter ihr Kind in die Kindertagesstätte schicken müsse und kein Geld bekomme. "Das ist einfach unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit nicht angemessen", so Neher.
Nach langem Streit trat das Gesetz zum Betreuungsgeld vor zwei Jahren in Kraft, und das Geld wurde zum 1. August 2013 erstmals ausgezahlt. Auch der Vertrag der Großen Koalition enthält die Familienleistung. Mit ihrem Wunsch nach Abschaffung konnte sich die SPD nicht durchsetzen.
Die Forderungen der Kritiker aus den Oppositionsreihen, das Geld besser in den Kitaausbau zu stecken, sind nicht verstummt. Und sie stehen nicht alleine da: Laut einer im Mai veröffentlichten Umfrage sieht auch die Mehrheit der Bevölkerung das Betreuungsgeld eher skeptisch. Mehr als die Hälfte der Befragten würde es begrüßen, wenn mit den entsprechenden Steuermitteln andere familienpolitische Leistungen finanziert würden.
Zahl der Bezieher steigt
Und trotzdem: Laut Statistik findet die staatliche Leistung immer mehr Anhänger. Immerhin für 455.321 Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr bezogen Eltern in den ersten drei Monaten dieses Jahres Betreuungsgeld und erhielten damit 150 Euro monatlich. Damit steigt die Zahl der Bezieher kontinuierlich.
Während die CSU dies als Beleg für den Erfolg der Hilfe wertet, sieht die SPD das völlig anders: „Wenn eine Geldleistung angeboten wird, wäre es ein Wunder, wenn sie nicht auch in Anspruch genommen würde“, so SPD-Fraktionsvize Carola Reimann. Ihre politische Einschätzung zum Betreuungsgeld habe sich nicht geändert, betont sie. „Es ist das falsche Instrument.“
In Bayern mehren sich dagegen die Stimmen, die die Leistung aus der eigenen Staatskasse weiter zahlen wollen, falls Karlsruhe es einkassiert. Das dürfte die Thüringer CDU freuen: Noch bis vor ein paar Monate gab es in dem Bundesland ein sogenanntes Landeserziehungsgeld, für das ähnliche Kriterien erfüllt werden mussten wie für das Betreuungsgeld. Die neue Landesregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) schaffte es kurzerhand ab.