Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) räumte einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolgschancen ein. Johannes Singhammer (CSU), Vizepräsident des Bundestags, rät der bayerischen Staatsregierung zum Gang nach Karlsruhe. "Um Rechtsklarheit zu schaffen, empfehle ich, das Verfassungsgericht anzurufen", sagte Singhammer der Tageszeitung "Die Welt" (Montag). Das werde ohnehin durch einzelne Bürger geschehen, sagte Singhammer. "Schneller ginge es aber, wenn das eine Landesregierung tun würde - zum Beispiel die bayerische Staatsregierung."
Hirte: Abstimmung war Gewissensentscheidung
Der CDU-Abgeordnete Heribert Hirte erteilte einer Klage in Karlsruhe hingegen eine Absage: "Die Unionsfraktion wird nicht klagen - wir können die Abstimmung nicht erst als Gewissensentscheidung freigeben und das Ergebnis als verfassungswidrig anfechten", sagte er der Zeitung. Eine Klage der bayerischen Landesregierung sei zwar denkbar. "Das hielte ich aber für politisch unklug", sagte Hirte, der Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestags ist. Ohnehin sei die Entscheidung des Verfassungsgerichts unvorhersehbar, da sich aus früheren Entscheidungen wenig ableiten lasse: "Denn heute entscheiden andere Richter als damals", sagte Hirte.
Auch die AfD will juristisch gegen die am Freitag im Bundestag beschlossene "Ehe für alle" vorgehen. "Wir prüfen derzeit eine Klage beim Bundesverfassungsgericht. Ich bin für einen solchen Schritt", sagte AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland der "Bild am Sonntag". Die "Ehe für alle" bedeute "eine Wertebeliebigkeit, die unserer Gesellschaft schadet".
Hinterher reparieren
Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) räumte einer Verfassungsklage in derselben Zeitung Erfolgschancen ein. "Ich habe gegen dieses Gesetz gestimmt. Ein Grund dafür ist, dass wir aus meiner Sicht als Jurist dafür eine Verfassungsänderung gebraucht hätten", sagte er. Außerdem sei für ihn die Ehe "eine Verbindung zwischen Mann und Frau".
Der Innenminister warnte davor, dass das Gesetz nicht ohne Weiteres umsetzbar" sei, weil eine Reihe von Folgeregelungen fehlten. So sei unklar, ob und wie eingetragene Lebenspartnerschaften in Ehen umgewandelt würden. De Maiziere: "Es wird massive Probleme bei der Umsetzung geben, die man dann hinterher reparieren muss."
Neuer Gang zum Standesamt nötig
Zuletzt hatten Medien berichtet, dass Lebenspartnerschaften nicht automatisch in Ehen umgewandelt würden, sondern beide Partner ausdrücklich in Anwesenheit eines Standesbeamten erklären müssten, dass sie ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe auf Lebenszeit umwandeln wollen. Als frühestmöglicher Termin für das Inkrafttreten der "Ehe für alle" gilt der 1. November.
Die Verfassungsgemäßheit des Bundestagsbeschlusses ist umstritten. Mehrere deutsche Staatsrechtler erklärten, sie hielten die Öffnung der Ehe für verfassungsgemäß. Dagegen hält sie etwa der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, für verfassungswidrig. Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) und Vertreter der katholischen Kirche hatten erklärt, sie rechneten mit einer Verfassungsklage.
"Unwürdiger Abschluss"
Berlins Erzbischof Heiner Koch kritisierte die Neudefinition des Ehebegriffs durch den Bundestag scharf. "Unterschiedliche Partnerschaften werden nicht durch einen gemeinsamen Begriff gleich", sagte er der "Welt" (Montag). "Die begriffliche Einebnung von Differenzen ist eine Ideologie: Wir sollen keine Differenzen mehr wahrnehmen, damit wir ein möglichst einheitliches Denken formulieren. Das ist ein Armutszeugnis." Die Bundestagsentscheidung am Freitag kritisierte der Bischof scharf: "Die Diskussion wurde lange geführt, der Abschluss war unwürdig."
Koch hält drastische Veränderungen des Familienverständnisses der Deutschen für möglich. "Es besteht noch gesellschaftlicher Konsens, dass die Polygamie nicht gleichwertig zur Ehe ist, das kann sich aber ändern", sagte Koch.
Linke zuversichtlich
Die Parteivorsitzende der Linken, Katja Kipping, ist nach eigenen Worten zuversichtlich, dass die "Ehe für alle" im Falle einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würde. Man müsse unabhängig von dem ursprünglichen Anliegen der Autoren des Grundgesetzes "einfach zur Kenntnis nehmen, dass sich was verändert hat in der Gesellschaft", sagte Kipping hat am Montag im ZDF-Morgenmagazin. Das Entscheidende für eine Ehe sei aus ihrer Sicht "die Intensität der Liebe und der Wunsch, gemeinsam ein Versprechen abzugeben", sagte Kipping. "Das ist für mich das Ausschlaggebende", betonte sie.
Kipping reagierte damit auf einen Vorhalt, wonach die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der "Ehe für alle" entgegenstehen könnte. Das Verfassungsgericht in Karlsruhe hatte 2002 entschieden: Zum Gehalt der Ehe gehöre "ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels", dass sie "die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft" sei.