Aïssata ertrug es nicht mehr. Ihre Mutter litt zu sehr und ging nicht mehr aus dem Haus. Zu groß war die Scham, weil ihre Tochter vergewaltigt worden war und ihre Jungfräulichkeit verloren hatte. "Als die Familie mir gesagt hat, sie habe einen Mann für mich gefunden, glaubte ich, dass alles gut wird", sagt Aïssata. Sie war noch keine 14, als sie verheiratet wurde. Aber es ging nicht gut. Kinderehen sind in Westafrika weit verbreitet. Jedes dritte Mädchen in Aïssatas Heimat Senegal wird vor dem 18. Geburtstag vermählt.
Baby heimlich zur Welt gebracht
An ihrem zierlichen Körper schlottert zu weite Kleidung. Aïssata möchte ihren vollen Namen nicht genannt wissen. Ihre Mandelaugen mit den langen Wimpern starren ins Leere. Tränen rollen der 17-Jährigen über die Wangen. Den Anfang ihrer Leidensgeschichte muss Khady Badio vom "Maison Rose" in der Hauptstadt Dakar, dem einzigen Frauenhaus im Senegal erzählen: Aïssata wurde nach einer Vergewaltigung schwanger, hielt dies aber geheim und brachte das Baby allein zur Welt. Doch das Kind starb, und die Familie fand die Babyleiche.
Die Schande war groß. Sex vor der Ehe ist im Senegal verpönt. Für Aïssata war Heiraten die einzige Möglichkeit, wieder in die Gesellschaft zurückzukommen - auch für ihre Familie. Ähnliche Motive haben auch Eltern, die ihre Töchter sehr jung verheiraten, aus Angst, sie könnten früh sexuell aktiv werden und ihre Jungfernschaft verlieren.
Frühheiraten gehören zur Tradition
Doch es gibt auch wirtschaftlich-gesellschaftliche Gründe für Kinderehen. Die Juristin Fatou Faye, 25 Jahre alt, nennt als Beispiel die Tradition der Fulbe. Sie waren einst Nomaden, die Frühheiraten als Mittel für Verbindungen innerhalb des Clans und mit der Außenwelt einsetzten. An dieser Tradition halten sie auch in der Stadt fest.
"Meine Freundin verlies die Schule vor der Prüfung. Ihre Familie hatte sie verheiratet. Sie war elf", berichtet Faye. Doch die Eltern der Freundin sahen es als Glücksfall. "Die Familie des Ehemanns war angesehen, der Bürgermeister und alle wichtigen Händler gehören ihr an", sagt Faye.
Familiengesetz legt Heiratsalter fest
Mit ihrem Verein AJASS organisiert die Juristin Aufklärung in den Schulen: "Es geht uns darum, die Mädchen zu stärken. Wenn sie erfahren, dass sie verheiratet werden, sollen sie es ihren Freunden und Lehrern anvertrauen. Wenn es publik ist, dann können wir handeln: Mit den Familien reden und sie daran erinnern, dass das Gesetz es verbietet."
Das Familiengesetz legt das Heiratsalter fest, für Mädchen sind es 16 Jahre, für Jungs 18 Jahre. Der Senegal hat aber eine Reihe von internationalen Konventionen unterzeichnet, die Eheschließungen vor 18 Jahren generell verbieten. Faye redet auch mit den traditionellen und religiösen Führern, die die Paare trauen: "Wir erklären ihnen, dass Kinderheirat frühe Schwangerschaften bedeuten, und die sind gefährlich für die Mädchen."
Lebensgefahr für Mütter unter 15
Unter 15 Jahren ist das Risiko der Mutter, bei einer Geburt zu sterben, fünfmal höher als im Durchschnitt. Scheidenfisteln treten häufiger auf, und auch die Überlebenschance des Babys ist niedriger. - Mit den Gesundheitsargumenten sind die religiösen Autoritäten am besten zu überzeugen, weiß Faye. Im Senegal sind mehr als 90 Prozent der 15 Millionen Einwohner Muslime. Aber es gibt auch andere Probleme, wenn sehr junge Mädchen mit sehr viel älteren Männern eine Ehe eingehen. Aïssata zum Beispiel fand nach ihrer Heirat keine Ruhe. Ihr Mann war impotent, und als sie das ihrer Schwiegermutter offenbarte, wurde diese wütend. "Sie sagte mir, ich sei schon verdorben und würde versuchen, den Ruf ihres Sohnes zu schädigen," erzählt sie.
Von Männern hat Aïssata genug
Das tägliche Hänseln war unerträglich. Das Mädchen wollte zurück in ihr Dorf. Ein Freund der Familie gab ihr das Geld - und schwängerte sie. Dann ging die Odyssee weiter. Aïssata wurde zu einer Tante nach Dakar geschickt, aber der Onkel empfand sie als Schande und wollte sie nicht im Haus haben. Mit ihrem Kind fand Aïssata schließlich im Frauenhaus "Maison Rose" in Dakar Zuflucht. Von Männern will das junge Mädchen erst einmal nichts mehr wissen. "Ich will nur eins - arbeiten", bekräftigt Aïssata. Ihre Familie gibt indes nicht auf und sucht immer neue Heiratskandidaten für sie.