Auch rund um die Weihnachtstage kam es wieder zu Attacken bislang unbekannter Täter auf Mitarbeiter und Fahrzeuge von RWE. Die Polizei ermittelt wegen schweren Landfriedensbruchs und vorsätzlicher Brandstiftung.
Die jüngsten Zwischenfälle erinnern einmal mehr daran, welch ereignisreiches Jahr hinter den Bewohnern in der Region, Umweltaktivisten aus nah und fern, den Verantwortlichen von RWE und der Polizei liegt – und wie brüchig die Situation in dem Wald am Rand der Tagebruchkante weiterhin ist.
"Burgfrieden"
Nach der Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster von Anfang Oktober ist die drohende Rodung zwar vorerst gestoppt, doch von einer Befriedung ist das Rheinische Braunkohlerevier noch weit entfernt. Zu tief sind die Narben, die dort gerissen wurden – sowohl in die Landschaft wie in die Seelen mancher Beteiligter.
Von einem "Burgfrieden" spricht denn auch der Sprecher der Bürgerinitiative "Bürger für Buir", Andreas Büttgen, gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Burgfrieden" deshalb, weil eine Burg oft einen Graben hat und sich die jeweiligen Lager dahinter oder davor verschanzen. Und an dieser Lage hat sich nach Einschätzung Büttgens bislang nichts geändert. RWE halte an seiner Absicht fest, den Hambacher Wald zu roden, sagt er. Und auch das Land unterstütze den Energiekonzern vorbehaltlos bei diesem Ansinnen - namentlich Innenminister Herbert Reul (CDU) steht hier in der Kritik der Aktivisten. Er habe es sich offenbar zu seinem "persönlichen Ziel" gemacht, den "Wald kleinzukriegen", erklärt Büttgen.
Eigentlich 'safe'
Der Sprecher der Initiative räumt ein, dass nach der großangelegten Räumung des Hambacher Waldes durch die Polizei im Herbst nun wieder etwa zehn Baumhäuser in dem Wald entstanden seien. Während die Landesregierung diese Aktionen scharf kritisiert, sieht Büttgen sie als "absolut notwendig" an. Es sei nötig, dass "dort Menschen im Wald leben und ihn schützen".
Die Gefahr, dass der Hambacher Forst tatsächlich noch gerodet wird, schätzt Büttgen aber eher gering ein. Mitte März werde vor dem Verwaltungsgericht Köln eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren erwartet. Gegen dieses Urteil sei dann wiederum vermutlich eine Revision möglich, die letztlich bis zum Europäischen Gerichtshof gehen könnte. "Der Wald ist eigentlich 'safe'", sagt der Sprecher.
"Ein nachhaltiges Strukturwandelkonzept"
Nun gehe es darum, den Blick nach vorne zu richten und "ein nachhaltiges Strukturwandelkonzept" für die Region vorzulegen. Zudem müsse vor allem die Landespolitik Maßnahmen ergreifen, um "die Spaltung der Gesellschaft" zu heilen, die sich bis in die Dörfer erstrecke.
Die Landesregierung sieht sich in dem Streit dagegen im Recht, weil es darum gehe, das Eigentumsrecht von RWE auf das Gelände am Tagebau umzusetzen. RWE hatte nach der OVG-Entscheidung zum Rodungsstopp bereits mit dem Abbau von Arbeitsplätzen gedroht und darauf verwiesen, dass am Tagebau Hambach 4.600 Arbeitsplätze hingen – davon 1.300 in der Förderung und 1.500 in der Veredlung der Braunkohle.
Schutzbedürftigkeit vs. Verwertbarkeit
Beide Seiten – Umweltschützer wie Befürworter des Braunkohleabbaus – hatten in den vergangenen Wochen mehrere Demonstrationen im Rheinischen Revier organisiert und ihre Anhänger mobilisiert. Die grundsätzlichen Differenzen werden dabei auch in der Wortwahl deutlich: Während die Umweltaktivisten vom "Hambacher Wald" sprechen, benutzen RWE und Land den Begriff "Hambacher Forst": Die eine Diktion hebt auf die Schutzbedürftigkeit eines Naturraumes ab, die andere suggeriert eine forstwirtschaftliche Verwertbarkeit. Zudem warten alle Beteiligten auf den Abschlussbericht der sogenannten Kohlekommission, der Anfang Februar vorgelegt werden soll.
"Wald oder dreckige Energie?"
Für den Berliner Protestforscher Simon Teune eignet sich der Hambacher Forst als bundesweites Symbol gegen den Klimawandel, "weil man plakativ sagen kann: 'Wald oder dreckige Energie?'" Grundsätzlich sei die Auseinandersetzung im Rheinischen Braunkohlerevier aber "nur ein Ausschnitt aus einer größeren Klimaschutzbewegung", sagte Teune dem epd.
Durch die Räumung des Waldes im Herbst habe sich die Situation nun weiter zugespitzt, erklärt der Soziologe, der an der TU Berlin forscht. Die sich gegenüberstehenden Interessen seien kaum noch vermittelbar. Deshalb sei es nun unverzichtbar, eine gemeinsame Perspektive für die Region zu erarbeiten. "Denn dass die Tage der Braunkohle gezählt sind, daran zweifelt wohl kaum jemand."