DOMRADIO.DE: Der Auftrag zur Schöpfungsbewahrung und die christlich-soziale Verantwortung gegenüber den RWE-Mitarbeitern, die von Jobverlusten betroffen sein könnten, lassen sich schwer vereinbaren. Sie sind Diakon und RWE-Mitarbeiter. Stehen Sie jetzt im Kreuzfeuer dieser beiden Pole – Schöpfung bewahren und Mitarbeiter sein?
Arnold Hecker (Ständiger Diakon in der Gemeinde Heilig Geist in Jülich und Referent für Automatisierungstechnik von Braunkohlekraftwerken bei RWE): Sie können sich ja vorstellen, dass beide Seiten auf einen drauftrommeln und einen mit den Zusammenhängen im Tagebau, in den Kraftwerken und gleichsam mit dem Verlust von Eigentum, Land und Wohngebäuden konfrontieren. Und in dieser Gemengelage ist man unterwegs und versucht menschlich zu bleiben und den Menschen Antworten auf ihre Fragen zu geben.
DOMRADIO.DE: Was bekommen Sie von den Kollegen mit, die um ihre Arbeitsplätze möglicherweise fürchten? Sind Sie jetzt auch eine Art Betriebsseelsorger geworden?
Hecker: Nein, ich bin bestimmt kein Betriebsseelsorger geworden, aber dennoch jemand, der hinhört, wie viele anderen auch, die Ängste haben, die um ihre Existenz fürchten, die sich von der Gesellschaft und Menschen verunglimpft fühlen, die Gewalt predigen, Kolleginnen und Kollegen Reifen zerschlitzen, Wagen aufbrechen und so weiter und so fort. Und da reden wir über Privateigentum und nicht über Gesellschaftseigentum.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Menschen sind tatsächlich auch von Bedrohungen betroffen?
Hecker: Viele der Kollegen, die hier im Tagebau und in den Kraftwerken arbeiten, sind massiv bedroht oder konkret geschädigt worden. Und das ist weder unter Bewahrung der Schöpfung noch unter anderen Zusammenhängen haltbar oder tolerierbar.
DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie und die RWE-Kollegen von der Kirche?
Hecker: Erstmal einen respektvollen Umgang und dass letztendlich auch die Bischöfe aus Köln und Aachen die Menschen vor Ort besuchen, ihnen zuhören und ihre Not aufnehmen. Statements, die bisher erfolgt sind, wenigstens vom Aachener Bischof, sind da nicht ausreichend. Die haben die Menschen nicht konkret erreicht. Und wie heißt es so schön: Nur ein mitgehender Mensch kann auch erfahren, was den anderen bewegt.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie sagen, Sie würden sich wünschen, dass die Bischöfe sich ein bisschen mehr einbringen, was genau sollten die tun?
Hecker: Ich würde mir eigentlich nur wünschen, dass sie mitgehen und hinhören. Und das nicht nur auf der einen Seite, sondern auf beiden Seiten. Denn beide Seiten haben ihre Nöte. Und auf beiden Seiten wird für die Bewahrung der Schöpfung gekämpft. Wenn ich aus meinem Küchenfenster auf unsere Ortskirche in Ameln und auf die Sohpienhöhe (Anm. d. Red.: Rekultivierter Braunkohletagebau) gucke, dann kann ich dort jeden Monat tausende Menschen mit ihren Tieren und Familien spazieren sehen, die dort erfahren, wie neue Schöpfung aussieht. Und das ist eben das Gegenteil von dem, was projiziert wird, dass Braunkohle nur zerstört.
Wenn Sie sich Eschweiler und den Blausteinsee ansehen, das sind alles wunderschöne Naherholungsgebiete, die kleingeredet werden und wo die Bewahrung der Schöpfung zu Nonsens degradiert wird.
DOMRADIO.DE: Es hat unter anderem eine Stellungnahme des Aachener Diözesanrates gegeben, wo man sich für einen Rodungsstopp in Hambach einsetzt. Da nennt man die geplante Abholzung "eine Maßnahme ohne Zukunftsperspektive, die zudem die Menschen vor Ort schädigt und in Gefahr bringt, aus christlicher Sicht verwerflich und menschenverachtend ist". Wie reagieren Sie darauf?
Hecker: Das ist ein wirkliches Wurfgeschoss. Lutz Braunöhler (Anm. d. Red.: Vorsitzender des Diözesanrats) hat damit den Vogel in negativer Hinsicht abgeschossen. Denn er hat damit die Menschen, die in der Braunkohle arbeiten, Christen sind, ihre Schöpfung leben und verantwortlich an der Gesellschaft teilnehmen, zu rechtslosem Gesindel verworfen. Und das ist einfach inakzeptabel und sachlich nicht richtig. Und ich würde mir wünschen, dass Herr Braunöhler als Vorsitzender des Diözesanrates seinen Hut nimmt.
DOMRADIO.DE: Wie reagieren Ihre Kollegen auf dieses Schreiben?
Hecker: Wenn ich das mit einem kleinen Tornado beschreiben würde, würde es der Sache sehr nahe kommen. Viele Kollegen sagen einfach, die Kirche ist nicht mehr für uns, also sind wir auch nicht mehr für die Kirche, und deswegen werden wir unsere Konsequenzen ziehen. Es ist also eine massive Austrittswelle im Gange. Und in den sozialen Medien bekommt man sehr gut mit, wie stark verletzt und enttäuscht viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Braunkohle sind. Sie fühlen sich von der katholischen Kirche alleine gelassen.
DOMRADIO.DE: Was können Sie als Diakon, der auch bei RWE arbeitet, den Leuten sagen?
Hecker: Sagen kann ich nur: Geht respektvoll miteinander um, schürt keine Gewalt, auch unter dem Siegel "Glückauf", seid gut miteinander unterwegs, kämpft redlich für eure Sache, aber scheut nicht die inhaltliche Auseinandersetzung.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.