Die Umrisse sind nur zu erahnen. In der hintersten Ecke eines Neuköllner Friedhofes im Süden der Hauptstadt, direkt neben dem einstigen Flughafen Tempelhof, liegen vom wuchernden Gras befreite Steinfundamente. Hier auf dem Jerusalem-Kirchhof an der Hermannstraße lebten zwischen 1942 und 1945 mehr als 100 Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion in einer Baracke.
Es war das vermutlich einzige von Kirchengemeinden betriebene Zwangsarbeiterlager im Nationalsozialismus, sagt Wolfgang Krogel, Leiter des Evangelischen Landeskirchlichen Archivs in Berlin. Zusammen mit einem Verein, Ehrenamtlichen und seiner Landeskirche setzt sich Krogel dafür ein, am Ort eine Gedenkstätte zu errichten.
Betonstelen als Erinnerung
Auf dem etwa 50 mal 70 Meter großen Areal sollen nicht nur die Fundamente der Wohn- und der Wirtschaftsbaracke des einstigen Lagers sichtbar gemacht werden. 25 Betonstelen von 2,50 Meter Größe werden einmal an einzelne Zwangsarbeiter erinnern. Dazu soll es biografische Informationen geben und ausgestellte Fundstücke gezeigt werden, die bei Grabungen entdeckt wurden: etwa eine Schuhsole, ein Metallbecher oder eine Gabel. Erarbeitet wurde das Konzept von Studenten der Fachhochschule Potsdam.
Am Volkstrauertag (19. November) wird auf dem Friedhofsareal zum wiederholten Male mit einem Gottesdienst der Opfer der kirchlichen Zwangsarbeit gedacht. Dazu werden am Sonntag unter anderem Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und die Berliner Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein erwartet.
Über 40 Gemeinden beteiligt
Bislang erinnert an das NS-Zwangsarbeiterlager auf dem weitläufigen Jerusalem-Kirchhof nur eine Informationstafel. Allerdings steht auf dem gegenüberliegenden St. Thomas-Kirchhof nah am Eingang ein Gedenkstein, 2002 gestiftet von den 39 evangelischen und drei katholischen am Lager beteiligten Kirchengemeinden. Darauf steht: "Der Gott, der Sklaven befreit, sei uns gnädig."
Daneben erzählen Infotafeln die Geschichte des Lagers und über das ehrenamtliche Engagement, dass zur Wiederentdeckung des Lagers geführt hat. In einem provisorischen Ausstellungspavillon sind unter anderem die Lebensgeschichten von Zwangsarbeitern nachzulesen. Der Gedenkstein soll später an den Originalstandort des Lagers versetzt werden.
Hunderttausende Zwangsarbeiter zusammengepfercht
Das Lager war den Angaben zufolge eines von rund 3.000 in und um Berlin. Hunderttausende Zwangsarbeiter lebten hier meist unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammengepfercht. Insgesamt sollen bis zu zwölf Millionen Menschen aus den besetzten Gebieten von den Nazis zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt worden sein.
Zum Friedhofslager in Neukölln führte damals ein separater Eingang. Offenbar fürchteten die Kirchengemeinden um ihr Ansehen. Lagerführer war seit Anfang 1943 Gustav Weniger, Angestellter des Stadtsynodalverbandes, aber auch Mitglied der Bekennenden Kirche. Sowohl er als auch der Finanzbevollmächtigte der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde, Max von Bahrfeldt, verfassten Berichte über die bedrückende Situation im Lager, dass sich aber finanziell für die Kirche rechnete.
Flüchtlinge sollen Areal in Schuss halten
Zurzeit ist Archivleiter Krogel dabei, Finanzierungszusagen für die Gedenkstätte einzuwerben. Von den veranschlagten 400.000 Euro Baukosten soll die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 180.000 Euro tragen, eine Entscheidung steht noch aus. Die Landeskirche stellt 90.000 Euro bereit und die Berliner Kirchenkreise sollen sich mit insgesamt 60.000 Euro beteiligen. Weitere 70.000 Euro an Fördermitteln des Senatsprogramms "Bildung im Quartier" sind bereits zugesagt. Für die "Anlaufkosten" der ersten beiden Jahre veranschlagen die Initiatoren insgesamt 60.000 Euro.
Der Evangelische Friedhofsverband nutzt den 1870 angelegten Friedhof nur noch für Nachbeisetzungen. In der Trauerkapelle feiert heute die bulgarisch-orthodoxe Gemeinde ihre Gottesdienste. Große Teile des Areals sind bereits entwidmet. Auf der anderen Seite der Ahornallee, die den Friedhof in der Mitte teilt, gegenüber der geplanten Gedenkstätte, soll ein Wohnheim für Geflüchtete entstehen. Sie sollen einmal in die Pflege der Gedenkstätte einbezogen werden.