DOMRADIO.DE: In den fünf NRW-Bistümern bereiten sich in diesen Tagen nur zehn Theologen auf die Priesterweihe vor. Die Zeiten, in denen der Einzelne in seinem Weihejahrgang von einer großen Gemeinschaft getragen wurde, scheinen vorbei. Fühlen Sie sich als einer von drei Seminaristen, die in diesem Jahr im Erzbistum Köln zum Priester geweiht werden, nicht manchmal wie ein Exot?
Christian Figura (Seminarist): Wenn ich darunter verstehe, dass man sich mitunter gegen den Mainstream positionieren muss, um für seine Überzeugung einzustehen, dann zweifelsohne ja. Aber auch viele große Heilige, die die Kirche verändert haben, waren auf ihre Weise Exoten – selbst wenn ich mir keineswegs anmaße, mich hier einzureihen.
Denkt man an Franziskus, der sich nackt vor seinen Bischof gestellt hat, oder an Charles de Foucauld, der Gott im letzten Winkel Algeriens gesucht hat, und auch an Ignatius von Loyola, der als Edelmann in Lumpen nach Jerusalem gezogen ist und sich als Erwachsener noch einmal mit Kindern zusammen in den Lateinunterricht gesetzt hat, dann verbindet alle diese großen Vorbildern im Glauben neben ihrer Vernunft und tiefen Spiritualität sicher auch ein gesunder Schuss „follia“, wie die Italiener sagen würden: eine „Verrücktheit“ in gutem Sinne. Verrückt nach Gott – ja, so verstanden bin ich gewiss ein Exot. Da ich aber ganz sicher kein Heiliger bin, wünschte ich mir von einer solchen wenig kopflastigen und leidenschaftlichen Ungestümtheit manchmal sogar noch ein wenig mehr.
DOMRADIO.DE: Exoten sind anders als andere und stehen bekanntlich immer auch ein wenig außerhalb. Wie ist das, wenn es in derselben Ausbildungsphase nur zwei Mitbrüder gibt?
Figura: Als einer von dreien steht man natürlich immer ganz anders im Fokus. In einer großen Gruppe hingegen kann man sich leichter verstecken. Aber das ist ja nicht das Entscheidende. Im Moment bin ich im Seelsorgebereich Neuss-Nord, und dort fühle ich mich bei der Gemeinde sehr gut aufgehoben und auch geborgen. Überhaupt spüre ich überall ein großes Wohlwollen. Ich stehe nirgendwo am Rand, sondern mitten unter den Menschen – wo ich als Seelsorger auch meinen Platz sehe.
Im Übrigen habe ich meine Entscheidung zum Priestertum zu einer Zeit gefällt, als die Zahlen noch andere waren. Unabhängig aber von der äußeren Frage der Quantität glaube ich, dass die Grundlage für die Entscheidung, Priester zu werden, davon abhängt, ob man eine Beziehung zu einem persönlichen Gott bekommt und man im Gebet mit diesem Gott, der in Jesus Christus ein menschliches Gesicht angenommen hat, alles, was für das eigene Leben relevant ist, bespricht.
Es macht einen stark und fordert heraus, Positionen des katholischen Glaubens in Worte zu bringen und diese zu vertreten. Von Jugendlichen beispielsweise – das habe ich während meiner Ausbildungszeit an einer katholischen Mädchenschule gelernt – erfordert es eine große menschliche und intellektuelle Reife, nicht mit dem Strom zu schwimmen und sprachfähig zu werden für den eigenen Glauben. Hier sehe ich auch unseren Bildungsauftrag als Kirche. Ihre gesellschaftliche Relevanz gewinnt die Kirche nicht durch möglichst große Zahlen, sondern durch ihre Integrität und eben diese Sprachfähigkeit.
DOMRADIO.DE: Gab es in Ihrer Biografie ein Schlüsselerlebnis, das Auslöser für Ihre Entscheidung war?
Figura: Schon seit meiner Kommunionzeit ist für mich die Frage nach dem Priestertum eigentlich immer präsent; später wiederholte sie sich zunehmend. Förderlich war sicher auch ein Erlebnis wie der Weltjugendtag hier bei uns in Köln 2005. Aber als ich damals als Neunjähriger meinen Heimat-Pastor in St. Dionysius, Monheim-Baumberg, die Kommunionkatechese halten hörte, spürte ich das erste Mal den innigen Wunsch: Ich will Priester sein wie er und die Botschaft Jesu Christi, die für alle Zeiten relevant bleibt, weitergeben.
Auch wenn der Priester in persona Christi handelt, weiß ich, dass ich nicht besser oder mehr wert bin als die anderen. Dass aber Christus durch mich in das Leben anderer Menschen treten kann und hier handelt – in der Vergebung der Sünden und in der heiligen Eucharistie – ist etwas, was mich zutiefst erfüllt und nicht mehr loslässt. Die Menschen mit Gott zu versöhnen – das ist das Amt Christi, und das tut der Priester heute stellvertretend in der Kirche. Immer wieder sind aus meiner Heimatpfarrei Priester hervorgegangen; zuletzt noch durfte ich vor zehn Jahren die Primizkerze eines Neugeweihten tragen. Auch eine solche Erfahrung prägt.
DOMRADIO.DE: Priester sein ist kein Beruf wie jeder andere. Sie verzichten auf Familie, und auch die Verantwortung in einer großen Gemeinde kann manchmal überfordern. Was gibt Ihnen Kraft?
Figura: Nach dem Theologiestudium war ich Novize bei den Jesuiten, zu denen ich bis heute eine enge Beziehung habe, auch wenn ich mich dann schweren Herzens gegen einen Eintritt in diese Ordensgemeinschaft entschieden habe, weil ich Diözesanpriester werden wollte. Die Arbeit mit Menschen aller Generationen und in unterschiedlichen Lebenslagen ist in der Gemeinde noch einmal vielfältiger als die sehr speziellen Apostolate des Ordens und verkörpert für mich noch einmal ganz anders das Ideal der Nachfolge Jesu.
Zuhören, da sein, um zu trösten, eine missionarische Kirche sein und gemeinsam im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung wachsen – das bedeutet für mich Seelsorge. Priestertum ohne Seelsorge kann ich mir für mich gar nicht vorstellen. Trotzdem beziehe ich meine Kraft immer noch aus der ignatianischen Spiritualität, der ich mich sehr verbunden fühle. Das missionarische Ideal der ersten Generation der Jesuiten beeindruckt mich bis heute. Davon wünschte ich auch unserer Kirche noch mehr. Jesus hat zwölf Apostel ausgewählt, die sich der Gnade Gottes anvertraut haben. Und was haben die allein schon bewirkt!
DOMRADIO.DE: Wie leben Sie denn diese Spiritualität in Ihrem Alltag?
Figura: Ich habe in den letzten Jahren zweimal große Schweigeexerzitien über 30 Tage gemacht. Das war eine tiefe Erfahrung. In dieser Zeit habe ich Momente der Gnade erlebt, die ich mit Worten nicht angemessen auszudrücken vermag. Seitdem lebe ich von einem Grundvertrauen, das mich trägt. Immer wieder schaffe ich für mich Zeiten der Stille, in denen ich um dieses Vertrauen bitte. Es gibt so viele Wege zu Gott wie es Menschen gibt, hat Papst Benedikt einmal gesagt. Ich bin davon überzeugt: Gott schenkt jedem die Gnadenmittel, die er braucht. Aber man muss auch Bereitschaft zeigen, sein Mitarbeiter zu werden. Es geht nicht ohne uns.
DOMRADIO.DE: Wie sieht Ihrer Meinung nach der Priester der Zukunft aus?
Figura: Er muss die Priorität im geistlichen Leben setzen, Stille suchen – und die Begegnung mit Gott. Es braucht eine richtig verstandene Demut, dass ich am Ende des Tages vieles in Gottes Hand zurücklege. Und ich muss damit rechnen, dass ich die Früchte meiner Arbeit unter Umständen nicht sehe. Was schließlich unsere kirchlichen Strukturen angeht, muss ich auch schon mal über den eigenen Schatten springen können. Es ist schon eine harte Entscheidung, eine Kirche zu schließen und trotzdem nach Wegen zu suchen, den Menschen Heimat zu geben.
DOMRADIO.DE: Haben Sie schon konkrete Vorstellungen, welches pastorale Feld Sie am liebsten beackern würden?
Figura: Ich möchte Begleitung anbieten in allen Lebenslagen – ob am Krankenbett oder in der Schulseelsorge – sowie an den sogenannten Wendepunkten des Lebens. Wenn die Kirche an der nächsten Generation interessiert ist, muss sie hier präsent sein und Akzente setzen. Bislang habe ich immer die Erfahrung gemacht, dass ich Gott – egal wo – immer finden durfte. In Neuss koexistieren viele soziale Realitäten – auch prekäre Verhältnisse. Das ist eine gesellschaftliche Wirklichkeit und geht von daher auch Kirche etwas an. Der Anruf Gottes findet überall in dieser Welt statt.
DOMRADIO.DE: Welche Botschaft wollen Sie den Menschen vermitteln?
Figura: Paulus schreibt in seinem 2. Korinther-Brief: "Wir bitten an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen". Das Kreuz Jesu Christi ist Gottes Angebot zur Versöhnung und das Zeichen seiner Liebe zu uns in einer Welt, die durch die Sünde von Gott getrennt war. Das ist ein Reichtum, der mir von Gott geschenkt ist und den mir diese Welt nicht geben kann. Diesen Schatz möchte ich mit möglichst vielen teilen, indem ich für sie Priester bin. „Christi Liebe drängt mich“, wie es in meinem Primizspruch – ebenfalls aus dem Korintherbrief – heißen wird. Mich wundert manchmal, wie der Apostel Paulus damals mit seiner Sprache die Massen begeistern konnte. Aber letztlich ist es ihm doch nur gelungen, weil sie gemerkt haben, dass dieser Mensch von Christi Liebe ganz und gar durchdrungen war.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.