Ehemaliger EKD-Ratsvorsitzender zieht Bilanz des Kirchentags

"Vertrauen als Grundstoff des Lebens"

Ökumene muss selbstverständlichere Realität werden, fordert der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider nach dem Evangelischen Kirchentag. Im Interview erklärt er auch die vielen leeren Plätze beim Abschlussgottesdienst. 

Abschlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentags / © Harald Oppitz (KNA)
Abschlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentags / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Greift man einen Moment des Abschlussgottesdienstes heraus, dann ist das wohl der Moment, in dem die evangelische Präses Annette Kurschus den katholischen Bischof Georg Bätzing gesegnet hat, da er nicht am Abendmahl teilnehmen konnte. Ist das exemplarisch für diesen Kirchentag?

Nikolaus Schneider (Ehemaliger Ratsvorsitzender der EKD): Exemplarisch ist, dass ökumenisch liebevoll und verständnisvoll miteinander umgegangen wird. Aber ich habe es so wahrgenommen, dass die Ökumene selber zwar mit einer gewissen Selbstverständlichkeit eingeübt ist und auch gelebt wird, aber sie nur in einigen wenigen Veranstaltungen ein Thema war. Allerdings geht es ja auf den Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt zu. Insofern hat die Ökumene in diesem Schlussgottesdienst nochmal einen ganz besonderen Akzent bekommen. Und darüber habe ich mich auch sehr gefreut.

DOMRADIO.DE: "Was für ein Vertrauen" lautete das Motto des 37. Evangelischen Kirchentages in Dortmund. Aber bei all den Skandalen und Problemen in der Kirche, ist es da nicht schwierig, sein Vertrauen zu behalten?

Schneider: Ja, das ist schwer, das ist nicht selbstverständlich. Weil Vertrauen zerstört werden kann und man manchmal den Eindruck hat: Wo ist eigentlich Gott? Oder: Wem kann ich eigentlich noch vertrauen, wenn es möglich ist, dass in einem Land mit so einer hochstehenden demokratischen Kultur wie in den Vereinigten Staaten ein Mensch Präsident wird, der ganz offen lügt und einfach auch weiter lügt, wenn er dabei erwischt wird? Oder wenn die Lüge dadurch hoffähig gemacht werden soll, dass man sie als "Alternative Fakten" bezeichnet. Da kann man schon auch verzweifeln. Das ist das eine.

Aber das andere ist, dass Vertrauen sozusagen ein Grundstoff des Lebens ist. Wir können ohne Vertrauen gar nicht leben. Und das ist ein Vertrauen, das auf einem Kirchentag noch in der Weise behandelt wird, dass wir alle im Vertrauen Gottes ruhen. Dass Gott uns Menschen vertraut, dass wir mit ihm aber auch miteinander so umgehen können, dass Leben möglich wird.

DOMRADIO.DE: 120.000 Teilnehmer wurden seit Mittwoch beim Evangelischen Kirchentag gezählt. Wenn man sich aber den Abschlussgottesdienst anguckt, dann sind dort im Dortmunder Fußballstadion nur 32.000 Menschen gewesen. Eigentlich passen dort knapp 80.000 Menschen hinein. Woran lag das?

Schneider: Das eine war: Das Stadion war nicht barrierefrei. Familien mit Kindern wurde empfohlen, zu einem anderen Gottesdienst zu gehen, der im Westfalenpark war. Das ist ein Teil der Erklärung.

Der zweite Teil der Erklärung ist, dass der Schwerpunkt der Kirchentagsbesucher immer aus der rheinischen und der westfälischen Kirche kommt. Das ist schon traditionell seit vielen Jahren so. Und für alle war es natürlich verführerisch, mal eben zu kommen. Deshalb gab es auch nicht so viele Dauerkarten, wie das üblich war, aber eine Riesen-Zahl von Tagesbesuchern. Und diese Tagesbesucher haben sicher gedacht: Die Mühen, zum Abschlussgottesdienst nach Dortmund zu fahren, ersparen wir uns heute. Wir gucken uns das alles im Fernsehen an.

Ein dritter Grund könnte auch eine Rolle spielen: Wir sind ja mit der Tatsache konfrontiert, dass die großen Volkskirchen auch an Mitgliedschaft verlieren. Es könnte sein, dass sich das auch darin ausdrückt.

DOMRADIO.DE: Nach dem Evangelischen Kirchentag ist vor dem Ökumenischen Kirchentag. In zwei Jahren steht nämlich schon die nächste christliche Großveranstaltung an: der Ökumenische Kirchentag 2021 in Frankfurt. Die Erwartungen zur Ökumene sind immer groß, zum Beispiel, wenn man über ein mögliches gemeinsames Abendmahl spricht. Aber ist das realistisch oder ist es eine Utopie?

Schneider: Ich hoffe nicht, dass es eine Utopie ist. Es gibt viele renommierte Theologen, die sagen: Das ist unter theologischen Gesichtspunkten eigentlich möglich. Und wir werden an diesen Fragen auch kirchenleitend weiterarbeiten müssen, damit es eine selbstverständlichere Realität wird, die dann auch von der Lehre der Kirche in einer größeren Weise akzeptiert wird als wir das bisher erleben. 

Das Interview führte Michelle Olion.


Nikolaus Schneider / © Norbert Neetz (epd)
Nikolaus Schneider / © Norbert Neetz ( epd )
Quelle:
DR