Wie Pfarrer an der Basis mit dem Missbrauchsskandal umgehen

"Vertrauensaufbau geht nur in Millimeterarbeit"

Der Missbrauchsskandal erschüttert die katholische Kirche. Wie geht es den Priestern, die vor Ort in den Gemeinden arbeiten? Die Institution Kirche müsse sich wandeln und mit der Zeit gehen, sagt der Kölner Pfarrer Franz Meurer im Interview.

Priester segnet ein Paar / © Harald Oppitz (KNA)
Priester segnet ein Paar / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was lösen die Zahlen der Studie in Ihnen aus?

Franz Meurer (Pfarrer in den Kölner Stadtteilen Höhenberg und Vingst): Das Schlimmste ist eigentlich für mich nicht das, was veröffentlicht wird. Das ist natürlich furchtbar und schändlich. Aber wichtiger ist, dass jetzt viele Menschen endlich einmal erzählen, was ihnen passiert ist. Das war niemals irgendwo in einer Akte niedergeschrieben. Was Bischof Genn oder auch Bischof Overbeck sagen, die Kirche müsse auf die Macht verzichten, das ist der entscheidende Faktor. Eines ist ganz klar, der Klerikalismus ist absolut tödlich. Wenn man meint, die Priester seien etwas Besonderes, dann ist die Kirche bald weg vom Fenster.

DOMRADIO.DE: Der Klerikalismus begünstige Missbrauch, so sagte Bischof Genn. Stimmen Sie dem zu?

Meurer: Absolut und leider ja. Der Papst sagt das auch immer. Wenn ich betrachte, was mir bekannt geworden ist, auch von Menschen aus meiner eigenen Familie – dann muss ich sagen, ich habe das nie mitbekommen. Ich persönlich hatte Glück. Der Vikar, den wir hatten, der war unser absolutes Vorbild. Wir wollten immer sonntags in die Christenlehre gehen, weil der so tolle Geschichten erzählt hat. Es war praktisch wie WhatsApp oder irgendwas, was die jungen Leute heute unbedingt haben wollen. Das heißt, die Erfahrungen sind so verschieden. In der Kirche müssen wir endlich anerkennen, dass die Menschen verschieden sind.

Ich bringe nur mal ein Beispiel: Natürlich habe ich als Jugendlicher gedacht, Homosexualität geht nicht. Inzwischen ist doch klar, das hat alles der Herrgott geschaffen und was er geschaffen hat, ist zunächst mal gut. Das ist tiefe Theologie. Alles was Gott geschaffen hat, ist erstmal gut. Und dieses müssen wir als Kirche lernen. Sonst nehmen uns die Leute überhaupt nicht mehr ernst. Beim Krankenhausskandal damals mit den Frauen hier in Köln wurde gesagt, die Kirche ist nicht nur überflüssig, sondern auch schädlich. Daran müssen wir etwas machen. Vertrauensaufbau geht nur in Millimeterarbeit. Es ist aber ganz wichtig, dass man auch zu seiner Schuld steht. Sich zu entschuldigen reicht nicht. Das ist ja logischer Quatsch. Ich kann sagen "Bitte verzeih mir". Unser Erzbischof hat das ja zum Glück getan. Das ist schon mal der erste Schritt, dass die Opfer im Mittelpunkt stehen.

DOMRADIO.DE: Es müssen weitere Schritte folgen. Wie können diese konkret aussehen?

Meurer: Es sind drei wichtige Fragen, um die es geht. Erstens: Tut es der Kirche gut, wenn nur Männer Ämter inne und fast alle Macht haben? Zweitens: Wäre es nicht besser, wenn in der Kirche auch auf höheren Ebenen – wie in den Gemeinden – die Frauen und auch Jugendliche die Macht haben? Drittens: Was die australischen Bischöfe gesagt haben, dass wir einen Freiwilligen-Zölibat einführen müssen. Darüber muss man nachdenken, denn die Frage ist, ob der Pflichtzölibat nicht genau das begünstigt, was wir alle jetzt so traurig sehen.

Allerdings muss man auch sagen, dass unser Bistum in der Prävention vorbildlich ist. Wir arbeiten hier in der Pfarrei gerade an unserem Präventionskonzept. Dabei sind nicht die Hauptamtlichen verantwortlich, sondern die Ehrenamtlichen. Dabei sind auch Psychologen und Lehrer, die auf höchstem Niveau intensiv an der Prävention vor Ort arbeiten.

DOMRADIO.DE: Wie muss dann in Zukunft ein gutes Verhältnis zwischen Priestern und Menschen sein, um Macht abzubauen?

Meurer: Hier muss es ein neues Verständnis geben, da muss sich die Kirche ändern. Die Kirche wollte ja bis vor kurzem über die Sexualität der Menschen bestimmen und hat die Priester quasi heiliggesprochen. Im Katechismus Romanus hieß es ja, der Priester ist den Engeln näher als den Menschen, weil er wandeln kann. Das ist natürlich theologischer Quatsch. Die Wandlung in der Heiligen Messe bewirkt doch nicht der Priester, sondern er macht das in Persona Christi. Es ist der Heilige Geist, der hier wirkt. Das heißt, wenn man theologisch ein bisschen tiefer geht, dann wird plötzlich vieles von dem Äußeren klar.

Viele Dinge werden einem erst bewusst, wenn man die Probleme erkennt. Das kann ich auch von mir selber sagen. Es ist ein Unterschied, was ich vor 40 Jahren gedacht habe und was ich heute denke. Hätte ich mich nicht seit damals weiter entwickelt und die Welt weiter und bunter wahrgenommen, wäre das ja furchtbar. Das müssen wir aber auch als Institution machen. Wir müssen dazulernen. Die Getauften und Gefirmten sind die Basis der Kirche, da gehören alle dazu – auch die Priester. Das hat die Folge, dass wir die Macht auch allen Menschen übergeben müssen.

Worüber ich mir auch viele Gedanken mache, ist die Frage, wie man das Dienstpriestertum, das Servitium, so leben kann, dass es auch die Menschen verstehen (Anm. der Redaktion: das Weihepristertum der Amtsträger). Das ist ja nichts Besonderes, sondern notwendig, um die Eucharistie zu bewahren und die Verbindung zu Christus sichtbar zu machen. Das ist eine offene Frage, an der wir arbeiten müssen.

DOMRADIO.DE: Sie arbeiten als Kölner Pfarrer direkt an der Basis. Was muss dort schon direkt passieren, damit die Kirche nicht grundlegend das Vertrauen der Menschen verliert?

Meurer: Wir haben hier kein großes Problem, denn wir sind einfach arm. 28 Prozent aller Haushalte sind überschuldet, 43 Prozent der Kinder sind krank. Wenn wir uns nicht ökumenisch mit den Leuten zusammen umeinander kümmern, werden wir so überflüssig wie ein Kropf. Wie es unser Papst so oft sagt: Verkündet das Evangelium, notfalls auch mit Worten. Bei uns bringen Worte überhaupt nichts. Und unser Glück ist eben, dass die Menschen uns vertrauen, weil wir ökumenisch aktiv sind.

Zum Glück haben wir einen sehr guten Kardinal, der sehr menschlich ist und dem die Leute vertrauen. Wir müssen jetzt nur mal ein bisschen Gas geben im Bereich Ökumene. Da mache ich mir in unserem Erzbistum, ehrlich gesagt, keine Sorgen.

Das Gespräch führte Beatrice Steineke.


Pfarrer Franz Meurer / © Melanie Trimborn (DR)
Pfarrer Franz Meurer / © Melanie Trimborn ( DR )
Quelle:
DR